Donnerstag, 26. November 2009
PLUTO!
gestern eingetroffen:
Naoki Urasawa - Pluto Vol. 06 TP
Preis 12,95 Euro
Plot Summary: Based off of a story arc from Osamu Tezuka's Tesuwan Atomu, Pluto follows the Europol detective Gesicht as he tries to uncover the mystery behind a string of robot and human deaths. The case becomes much more puzzling when evidence leans toward the murders being the work of a robot, which is something that hasn't happened for 8 years.(ANN)
Bonbonfarben und Madenfrass. "Jenseits" wagt den Spagat.
Allzu niedlich ist die Covergestaltung dieses Comics ausgefallen, allzu gefällig ist die Wahl der Farben, niedliche Pastelltöne und Aquarelloptik schmeicheln dem Auge. Ein Kinderbuch, so könnte man denken, ein Märchen, ein ganz zuckriges Stück Kunst, wären da nicht diese großen Finger am Bildrand.
Dieses sanfte Bilderbuch ist nur auf den ersten Blick bezaubernd, der zweite Blick aber offenbart Brutalität, Grauen und Gewalt - es floss Blut, dort wo nun die Feen wandern.
Unterhalb der konventionellen Struktur einer Fabel, welche mit dem altbekannten stereotypen Personal (der Prinzessin, dem Prinzen, der für den Fortbestand der höfischen Rituale unverzichtbaren Zofe, der wagmutigen Heldin, dem unnahbaren Beau) nahezu klassisch erzählt, verbirgt sich ein Diskurs über das Leben nach dem Tod, welcher in dieser Form neu und einzigartig ist.
Dem Autorentrio, sprich dem Duo Kerascoët alias Marie Pommepuy (Story) & Sébastien Cosset (Zeichnungen) und dem Szenaristen Fabien Vehlmann, gelingt ein heimtückiger Augentrick, dieser Comic ist keine leichtverdauliche Ware für Kindergemüter, sondern eine schockierende pathologische Fallstudie.
Während eine vordergründig harmonisch Geschichte erzählt wird, über die Selbstorganisation einer kleinen Gemeinde von Fabelwesen, verrottet im Hintergrund der Leib eines Kindes. Die putzigen Gestalten beweisen ihre symbiotischen Fähigkeiten und nutzen den, auf dem Waldboden verstreuten Inhalt der Schultasche des Opfers als Materialien zum Wohnungsbau, Hefte werden zu Dächern für die kleinen Häupter und Kekspackungen zu Verkaufstheken.
Stück für Stück wird sichtbar, dass all diese putzigen Gesellen ebenso als parasitärer Befall einer Leiche betrachtet werden könnnen, die forensische Entomologie hält Einzug in die Märchenwelt.
Diese ebenso kluge wie erschreckende Überkreuzung der beiden Ebenen, zwischen Wissenschaft und Mär, der stete Perspektivenwechsel zwischen Inzenierung von Verfall und Fäulnis und dem konstrastierenden buntem Treiben, der organisatorische Zusammenhang zwischen der verwesenden Kinderleiche und dem Aufblühen der Gemeinschaft machen diesen Comic zu etwas Aussergewöhnlichem, zu einer Prüfung für das geschulte Auge.
Hat man das Grauen einmal erkannt, schreckt man auf, doch es bleibt nicht bei dieser Parallelmontage von Gaukelei und Mord, sondern eine Wanderbewegung setzt ein, welche die hintergründige Gewalt in den Vordergrund rückt. Innerhalb der Ansammlung der Figuren kommt es zu Exzessen extremer Gewalt, ausgegrenzte Geschöpfe werden bei lebendigem Leibe in der Federmappe der Toten beigesetzt, die Tötung wiederholt sich, diesmal unter den Augen der applaudierenden Mittäter.
Alles beginnt mit dem Blutrausch der Prinzessin, deren Gefolge - ganz genrekonform - den Taten nicht widerspricht, sondern sie sogar unterstützt. Kerascoët denunzieren und demontieren die Machtgefüge des Märchens und machen so etwas ganz anderes sichtbar, denn viele der weltbekannten Kindergeschichten berichten unhinterfragt von Gewalt und Tod - die beiden Texter importieren nun weltliche Gewalt in diese Erzählweise und ermöglichen somit ein weitreichendes Nachdenken über Macht und Willkür.
"Jenseits" ist ein weiteres spannendes Experiment, welches zu beweisen versucht, dass der Comic auch imstande ist äusserst ernsthafte Thematiken abzubilden, aber diesmal wird zusätzlich der Nachweis erbracht, dass der graphische Roman von Madenfrass auch durchaus in Pastelltönen berichten kann.