Wer jetzt wegen der Titelgebung (The Last Days Of American Crime) ein verschwörungstheoretisch aufgeheiztes, antiamerikanisches Szenario erwartet, in dem der Leviathan und seine Politik angeklagt wird - den muss ich enttäuschen.
Natürlich handelt der Comic von Gewalt, auch von der brutalisierten Gewalttätigkeit auf amerikanischen Boden und natürlich stimmt er auch einen Abgesang auf das ehemalige Imperium an & spart nicht an Anklage, aber es handelt sich hier in erster Linie um eine düstere Geschichte rund um die sozialen Verwerfungen und internen Konflikte einer scheiternden Gesellschaft. Eine Dystopie rund um den Verlust der Menschlichkeit und den Versuch sie per technischer Prothese wiederherzustellen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
In nicht allzu weiter Zukunft eskaliert die Gewalt zunehmend, das rechtsstaatliche Gesellschaftssystem gilt als verloren, die Polizei als hilflos, das Militär übernimmt Ordnungsaufgaben, das Kriegsrecht gilt als Normalzustand. Der Mensch gilt erneut als des Menschen Wolf und er unterstricht diesen Anspruch durch den freudigen Einsatz von Explosivstoffen und körperunfreundlicher Munition. Bezaubernde Aussichten.
Die Herrschenden sind von dieser zivilisatorischen Ausnahmesituation etwas überfordert und flüchten sich in ein vages technisches Versprechen. Ein Neuro-Inhibitor soll (ausgestrahlt über ein landesweit installiertes Sendersystem) die Bestie Mensch befrieden. Niemand soll mehr befähigt sein gesetzeswidrige Handlungen zu praktizieren. Re-Zivilisierung per Frequenzsignal.
Klingt erstmal nach einer symphatischen pazifistischen Utopie, aber genau aus dieser Erwartungshaltung bezieht der Comic seine Brisanz, hier setzen die philosophischen Fragen ein, die den meisten guten Sci-Fi-Geschichte immer eingeschrieben waren. Beschränken wir uns auf drei.
Zum ersten: Ist ein System, welches per technischer Kontrolle seine Bevölkerung zu steuern versteht wünschenswert? Wer definiert Gut und Böse, wer verfasst die gesetzliche Norm und definiert Abweichung und Strafe? Ist dieser perfekte Staat nicht die perfideste Form der selbstgewählten Tyrannei? Zum zweiten: Wann ist eine Tat als verwerflich zu betrachten und kann diese Entscheidung kontextlos gefälllt werden? Wird durch den gesetzlichen Handlungszwang nicht auch jede Form von Widerständigkeit und Dissenz ausgeschaltet? Und zum dritten: Ist der Mensch ohne seine ihn innewohnende Gewalttätigkeit, seine Fähigkeit zu Grausamkeit und Güte überhaupt ein vollständiger Mensch?
Das kluge Szenario, mit welchem uns der Storyboarder Rick Remender hier konfrontiert, wird von Greg Tocchini in unglaublich kraftvolle und atmosphärische Bilder überführt. Es dominiert die Enge, die Schraffur, die abgedunkelten Farben, das Expressive. Sicherlich kein Stil für jedermann, aber dem Szenario ist er mehr als nur angemessen - eine Leseprobe findet ihr hier.
Remender & Tocchini haben sich bereits auf dem Feld der dunklen Superheldenepen einen Namen gemacht, aber dieser Comic ist ihr erster Versuch in einem übermenschenfreien Erzählraum Fuss zu fassen. Und ich finde es gelingt ihnen mit Bravour, sie benötigen keine sinistren Superbösewichte und irrwitzige Bedrohungsszenarien um eine erschreckend düstere Stimmung zu erzeugen.
Der Comic spielt gänzlich vor der Aktivierung des neuralen Hemmfrequenz - einige Schurken wollen, bevor es ihnen eine Singalstruktur verunmöglicht - nochmal Kasse machen und planen das größte (und letzte) Verbrechen Amerikas - dieses Vorhaben wird hier elegant & konsequent ausgebreitet - ein Narrativ, welches die Nachdenklichkeit und die Verunsicherung einfordert, will und bekommt. Raffinierter, galliger, bösartiger Titel. Sollte man gelesen haben.