Vertigo lässt es wieder einmal krachen - und einmal mehr beweist dieser Imprint, weshalb sein Nimbus als aktuelle Talentschmiede mehr als nur gerechtfertigt ist. Scalped bietet großartig schmutziges, politisch aufgeladenes Comicvergnügen. Eine rohe, harte und übellaunige Gewaltorgie inmitten des Siedlungsgebiets der Oglala in Süddakota, dient als Leinwand für diesen Ritt an das Ende der Nacht.
Ganz egal, ob man diesen Stamm nun als einen Teil der Native Americans (politisch unverdächtige Fremdbenennung) oder doch eher als Teil der First Nations (ursprünglich aus Kanada stammende Eigenbezeichnung) bezeichnen will, Fakt ist - jede Bezeichnungspolitik kann nicht über die massiven sozialen Problematiken hinweg täuschen - tagtägliche brutale Gewalt, himmelsschreiende Armut, weitverbreiteter Alkoholismus, Allzweckkorruption und die Selbstherrlichkeit lokaler Warlords.
Inmitten dieser ohnehin schon explosiven Mischung schlägt nun der, mit einer extrem kurzen Zündschnur gesegnete Heißsporn Dashiell Bad Horse auf und ja, er schlägt Funken im Pulver. Nachdem er zu Beginn des ersten Kapitels, kurzerhand und kurz angebunden den Großteil der Schläger des Reservatsdons Chief Lincoln Red Crow mit seinem Nunchanko windelweich geprügelt hat, wird er als Tribalpolizist verpflichtet.
Natürlich ist hier eine Eskalation vorprogrammiert und so dient Bad Horse augenscheinlich nur als Spielball im Intrigenspiel des Reservats - also dort, wo in wenigen Tagen ein sehr luxuriöses Casino (inmitten der bitteren Armut) eröffnet werden soll und dort, wo noch einige Rechnungen aus den militanten 70ern der Red Power-Bewegung offen sind. Spannenderweise ist er aber nicht bloss ein gepresster Spelunkenschläger, sondern auch Undercoveragent des FBIs.
Interessanterweise ist aber die Mutter von Bad Horse niemand anderes als ein Gründungsmitglied der militanten Pine Ridge Aktivisten, die als Dog Soldiers in den 70ern zu nationaler Bekanntheit kamen und deren Besetzung des "Amtes für Indianerangelegenheiten" am Jahrestag des Wounded Knee-Massakers und der bis heute noch ungeklärte bewaffnete Zwischenfall am 26. Juni 1976, bei dem zwei FBI-Beamte getötet wurden - ein Datum, auf welches explizit im Comic Bezug genommen wird - sie zu Observationsobjekten des umstrittenen Cointelpro-Dienstes machte.
Der düstere, im Gewand eines sehr dreckigen Actionszenarios daher kommende Comic vermischt raffiniert militante Geschichte, rund um den langjährig inhaftierten AIM-Aktivisten Leonard Peltier (der hier Lawrence Belcourt heisst) und ein konkret genanntes historisches Ereignis mit den Anforderungen eines anspruchsvollen Thrillers. Heraus kommt eine sehr clevere Auseinandersetzung mit verschiedenen amerikanischen Geschichten.
Blutig, spannend, politisch unbequem und mehr als nur zynisch ... hier hat sich mit Jason Aaron (Storyboard) & R.M. Guéra (Illustrationen) ein weiteres Topteam zusammengefunden und so ist es fast überflüssig auf die grandiosen Coverdesigns von british finest Jock [Losers] hinzuweisen, die mehr als nur leckere Augenschokolade sind!
Für Freunde des gepflegten ungefilterten Witzes und der zynischen Unterhaltung ist diese Serie mehr als nur eine weitere Entdeckung, Fans von Comicgroßtaten wie Preacher oder 100Bullets werden sich wohl freudig den Schritt befeuchten und alle anderen, von der sterilen Einöde der meisten Comics angenervten, Leser werden wohl einen Klose-Salti schlagen wollen aufgrund der bissigen und nicht gezähmten Erzählwucht dieses neuen Talents! Ja - genau. Empfehlung!
Eine deutsche Übersetzung ist laut meines Wissens noch nicht geplant, aber die bisherigen 6 Sammelbände (Nummer 7 ist für Februar 2011 angekündigt) der Serie können in der Filiale Weinmeisterstrasse gegen das Tauschgut Hartgeld erworben werden. Der Preis liegt zwischen 9,95 Euro (#1) und 15,95 Euro (#2-6).