Anaïs Nin hat einen gewissen Ruf – viele halten sie für eine Autorin von Schmuddelromanen. Weit gefehlt, wie ich finde. In ihrer expliziten Beschreibung weiblicher Sexualität war sie einfach nur ihrer Zeit um einige Jahrzehnte voraus. Ihre frühen Tagebücher, in denen sie (sich) die ersten 25 Jahre ihres Lebens zwischen Europa und Amerika erzählt, haben es in sich. Aber darüber soll es an dieser Stelle gar nicht gehen. Sondern um die farbstarke Graphic Novel:
Die Erzählung setzt in den späten 1920er Jahren in Paris ein. Anaïs und ihr Mann sind gerade aus der Metropole aufs Land gezogen. Eines Tages bring er den Schriftsteller Henry Miller mit nach Hause. Der Rest ist (Literatur-)Geschichte.
Dies vorab: Ich musste die Graphic Novel zweimal lesen. Nicht, weil ich sie nicht verständen hätte, nein, nein, das ist alles tiptop erzählt und – geschickt-angemessen gerafft – zu einem Plot verwoben.
Was mich nachhaltig beeindruckt und in seinen Bann zieht, ist der Zeichenstil von Léonie Bischoff. Beim ersten Hinsehen sieht das aus wie mit einem Kinderbuntstift gezeichnet. So einem mit einer dreifarbigen Mine: gelb, rot, blau. In den Panels werden die drei Grundfarben zu tollen Farbspielen kombiniert.
Es gibt KEINEN EINZIGEN schwarzen Strich! Und dennoch wirkt die Geschichte beim Lesen nicht übermäßig bunt. Opulent farbig, ja. Aber nicht kaugummi. Und detailliert – oft ist auch der Hintergrund aus unzähligen Strichen zusammengesetzt. Ebenso scheinen bei genauem Hinsehen alle flächigen Farben immer aus den drei Grundfarben zusammengesetzt. Selbst in den dunkelsten Objekten, wie einem Mantel oder Anaïs Haar spielen immer Farben mit. Das erinnert an... den Schatten von Seifenblasen. Der ist nämlich auch bunt. Aber eben auch Schatten. (Wer's mir nicht glaubt, muss es selbst mal ausprobieren.)
Also Ein. Fest. für. die. Augen.
P.S.: Auch die innere Stimme von Anaïs ist toll dargestellt, mit Wallehaar und deutlich durchtriebenerem Gesichtsausdruck. Und das Gesicht von Anaïs finde ich gut getroffen. In seiner Puppenhaftigkeit. Mit den großen, ausdrucksstarken Augen einer Katze. Mein Favorit aber sind die manchmal auf den Wangen erscheinenden sanft schraffierten Dreiecke. Schaut's Euch an.