"Yo, and over there is the old 'Post Office' - now it's the best gallary in Town - called C-O - and over there is the Tacheles - a MUST-SEE! - full of artists and that crazy feeling."
Yo, man. Diesen Dialog hörte ich unfreiwillig in der Straßenbahn - M1 - auf dem Weg zur Arbeit, etwa auf der Höhe Oranienburger Tor, dargestellt von einem jungen Studenten (?Austausschüler?) der seinen von ferne angereisten Großeltern vorführen wollte, wie toll doch Berlin ist und wie sehr er schon ein Berliner geworden ist, der die Stadt wie seine Jutetasche kennt.
Yo man. Und wenn die motherfu*** S-Bahn gefahren wäre, wie es sich für deutsche Qualitätsprodukte gehört, dann hätte ich diesen intensiven Moment des "Fremdschämen" verpasst. Letzteres hat übrigens ebenso wie "Kindergarten", "Rucksack", "Angst", "Uber" und "Schadenfreude" Eingang in die englische Sprache gefunden, wie sie weltweit von Hipstern genutzt wird.
Ich hätte natürlich dazwischengrätschen können.- Das C/O" ist längst nach Westberlin zum Bahnhof-Zoo gewandert, die alte&imperiale Hauptpost an einen bösen Investor namens "Biotronik" verkauft worden, der es in ein Konferenzzentrum umbauen möchte… und das "Tacheles"? Das ist mausetot. Gestorben an einem Zoff um die Stromrechnung zwischen Kneipenbesitzer und Innenraumbewohnern…
Berlin ändert sich nun mal. Ständig. Ob man will oder nicht. Und da ständig neues Volk nachzieht, scheinen das auch ganz viele ganz toll zu finden. Wer braucht schon die Vergangenheit - vor Augen.
Also manchmal wäre das schon ganz praktisch. Wie beispielsweise, wenn man den Kindern erklären soll, was es mit der "Mauer" auf sich hat. Ok, da war mal 'ne Mauer. Jetzt ist sie weg. Und? An dieser Stelle ist es dann doch schön, wenn man etwas zum Anschauen hat. Es gibt auch gute Comics dazu, was für eher lesefaule Kinder die Hemmschwelle des Anfassens deutlich verringert. Gute Comics? Gute Comics.
Die hab ich auch vorher mal im Kollegenkreis testen lassen: Chris W. (aufgewachsen in Kreuzberg), Henry K. (aufgewachsen in Pankow), Sergej S. (aufgewachsen in Leningrad) - alle so um die 40 Jahre alt.
Erster Comic:
Fluchttunnel nach West-Berlin
Wertung meiner eigenen Kinder (4 & 9 Jahre): "YEAH! Tunnel!" Tunnelbauen und Geheimgänge sind in dem Alter noch sehr attraktiv ... die Bilder wurden lange und intensiv betrachtet, der Text eher weniger. Aber einen Eindruck von dem damaligen Problem haben sie schon bekommen.
Henry K: "Propagandazeug! Rühr-ich nicht-an!" [Man sollte dazusagen, dass ich Henry schon öfter Comics geliehen hatte, zuletzt "Vasmers Bruder", und er eigentlich immer ein begeisterter Abnehmer war.]
Chris W.: "Schön gezeichnet, aber etwas langatmig erzählte Geschichte."
Sergej S. "Das wär vielleicht was für meinen Sohn. Kann ich's länger ausleihen?" [Lesefaule Kinder und so.]
Zweiter Comic (zeitgleich zum ersten Comic mitgebracht):
Gleisdreieck: Berlin 1981
Henry K: "Interessant! Wie die damals so in Westberlin unterwegs waren." [Henry liest auch mit Begeisterung "Herr Lehmann"-Bücher.]
Chris W.: "Also bitte, ich hab in der Zeit in Kreuzberg GELEBT. Das war NICHT so! Da hat sich wohl jemand alle Klischees geschnappt, einmal gut durchgerührt - von welchem Autor ist das eigentlich... ein FRANZOSE???" [Ich bin mir nicht sicher wieweit Chris als Neunjähriger aus konservativem Elternhaus in linksradikalen Kreisen unterwegs war. Aber er möchte das Buch DEFINITIV nicht.]
Sergej S. "Tja, hmm. Nicht so mein Thema." ["Da."]
Wertung meiner eigenen Kinder (4 & 9 Jahre): "Oh, das ist aber eine kleine Schrift. Die Figuren sind auch nicht hübsch. Da zeichnet ja sogar der Jason besser. Müssen wir das lesen? " [Nein, natürlich nicht. Und was Jason betrifft ... kein Kommentar.]
Fazit:
Es gibt durchaus gute Comics zu einer sich ständig ändernden Stadt, aber nicht jeder passt zu jedem Leser. Das wird manchmal einfach überraschend. Aber das ist beim Comicsverschenken ja eigentlich immer so.
Jules
Ich selbst finde beide Comics prima :-)