Wir hatten letztens Besuch aus Amerika. Was immer wieder toll ist! Diesmal kam allerdings die Mutter vom Besuch aus Amerika mit und hatte Wünsche. Sie wollte einmal original deutsch essen gehen! In Berlin! Jaaa gut.
Wir boten ihr unseren Lieblings-Italiener, -Inder, -Vietnamesen, -Franzosen, -Mexikaner, -Japaner an. Nein! Indonesisch? Thailändisch? Russisch? Polnisch? Australisch! Afrikanisch (Massai)! Süd-Afrikanisch! (Es gab da doch noch dieses original Nordkorea-Restaurant, irgendwo.) Nein! Die Dame wollte original deutsche Küche erleben, wenn sie schon mal in Deutschland ist.
Aber was sind typisch deutsche Gerichte, die
a) nirgendwo sonst so angeboten werden und
b) von der einheimischen Bevölkerung auch oft und gerne gegessen werden?
(Eisbein und Pfälzer Saumagen fallen dann schon mal raus.)
Später fragte sie uns auch noch, was denn so typisch deutsche Sagen & Märchen sind. Grimms Märchen seien ja spätestens mit Disney globalisiert worden. Auf unsere Gegenfrage nach typisch amerikanischen Märchen verwies sie auf den "Wizard of Oz". Das kenne in Amerika jedes Kind. Ob das deutsche Kinder auch kennen würden? [Hmpf.] Zumindest eins der vierzehn Bücher aus der Serie? [14 Bücher? Doppel-Hmpf + >8-[]
Es war ein toller Abend.
Um zum Punkt zu kommen:
Die Geschichte vom "Zauberer von Oz" ist tatsächlich in Amerika wirklich viel, viel bekannter als hierzulande. [Es existieren unzählige Verfilmungen, Aufbereitungen als Theaterstück, Parodien und Neuerzählungen. Gibt es seit 1900 und mit tatsächlich 14 Büchern des gleichen Autors undsoweiterundsofort.] In Deutschland aber ist maximal die Musical-Variante mit Judy Garland bekannt. (Sicher auch durch den letzten Musikwunsch des letzten Bundespräsidenten, HoHo!)
Der vorliegende Band aber stammt von einem Künstler, der sonst für Marvel Superhelden zeichnet. Diesmal war er entschlossen die Geschichte vom "Zauberer von Oz" neu zu entdecken, von allem Ballast zu befreien - und den Leser so mitzunehmen, als erlebe er die Geschichte zum ersten Mal. Mission accomplished, Kumpel.
Ich hatte die Geschichte vorher noch nie gelesen, aber da dürfte ich in DE auch nicht der einzige sein. Aber warum sollte ich das lesen wollen?
Antwort 1: Es IST typisch Amerika, da es Teil der amerikanischen Selbstverständnis ist. Was in diesen Tagen merkwürdiger denn je erscheint.
Antwort 2: Es ist absolut untypisch für alles was der gemeine Europäer von Amerika weiß. Es ist NICHT laut & knalligbunt & Plastik. Es ist anders… und das macht das ganze interessant.
Die Geschichte beginnt in Kansas, was als platt, leer, farblos und von der Sonne ausgeblichen beschrieben wird. Betrifft sowohl Menschen, wie Planzen, Tiere - einfach ALLES.
Einzige Abwechslung sind hin und wieder Katastrophen wie Tornados, die ganze Häuser abreissen können. Was unserer Heldin natürlich auch prompt passiert. Nimmt sie aber recht locker. Stellt sicher, daß ihr Hund Toto sicher dabei ist und geht dann schlafen. Während das Haus weiter von einem Tornado durch die Luft gewirbelt wird!
Als sie wieder wach wird, findet sie vor der Haustür (Haus ist wundersamerweise heil geblieben) die Welt von Oz vor. Bunt! Farben! Singende Leute! Musik! Unterhaltung! Tanz! Und dann wird sie noch als Heldin gefeiert! Weil sie [unabsichtlich] die böse Hexe getötet hat, die das ganze Volk versklavte!
Heldin und Zauberin! Yay! Sie bekommt sogar aus dem Nachlass der bösen Hexe ein anständiges Paar Schuhe! (War wirklich ein armes Leben damals bei den Farmersleuten in Kansas ohne Hartz4-Konzept.) Und was macht das dumme Gör? Will nach Hause. Warum? Das neue Leben ist doch soviel besser, als das alte! Originalzitat: "Egal wie trist und grau unsere Heimat ist, wir Menschen aus Fleisch und Blut leben dennoch lieber dort als in jedem anderen Land der Welt, egal wie schön es ist. Es ist nirgends besser als daheim" Aha. Da war mein Bild vom amerikanischen Selbstverständnis bislang anders. Ich dachte immer das wären die Nachkommen von Menschen die ganz explizit lieber woanders leben wollten.
Aber dann begleitet der Leser die Heldin auf eine wundersamen Reise mit tatsächlich sehr seltsamen Gestalten - wobei die Heldin nur ein Ziel hat: Nach Hause! Aber ohne dummes Rumgesinge und ohne kitschige Bilder - stattdessen mit sehr guten Zeichnungen, die teilweise einen Hauch von Tim Burton haben - ist es eine wirklich interessante Lektüre.
JULES
Nachtrag:
Ich hätte vielleicht noch mehr geschrieben, aber meine achtjährige Tochter wollte dieses Buch unbedingt und SOFORT haben. Es ist also auch für Kinder durchaus attraktiv. Aber: Es kommen keine roten Schuhe vor und der Satz: "Toto, wir sind nicht mehr in Kansas" fällt nirgends.