Mittwoch, 15. Juni 2022

zurück im Scheinwerferlicht: Annemarie Schwarzenbach


Was für ein Leben. 

In eine wohlhabende Schweizer Industriellen-Familie geboren, steht der intelligenten und eigensinnigen Annemarie in den späten 1920er die Welt offen. Nach dem Internat studiert sie in Paris, lebt in Berlin und ist eine enge Freundin von Klaus und Erika Mann. Sie fährt leidenschaftlich gern Auto und bereist damit auch mehrfach den Orient.

 

Von diesen Expeditionen zeugen kluge Berichte, die Annemarie Schwarzenbach für Zeitungen schreibt, und unzählige Fotografien. Eine Frau mit vielen Talenten. Eine, die liebt, wen sie will. Eine, die die Grenzen, die man ihren Geschlechtsgenossinnen auferlegt, nicht anerkennt. Die sich darüber hinwegsetzt. Eine, die einfach macht. 

Und sie ist schön. Sehr schön. Ihr androgynes Äußeres verschafft ihr unzählige Verehrer*innen, die sie umschwirren wie die Motten das Licht. In ihrer Berliner Zeit kommt sie mit Rauschgift in Kontakt, das sie Zeit ihres kurzen Lebens nicht mehr loslässt. Hier lernt sie aber auch die Fotografin Marianne Breslauer kennen, der die Nachwelt eine atemberaubende Portraitserie zu verdanken hat.

Diese findet sich auch in der Biographie "Auf der Schwelle des Fremden", die ich vor einigen Jahren andächtig gelesen hat. Mehr eine Art Fotoalbum zeichnet Alexis Schwarzenbach darin das Leben seiner Tante nach. Als ich von der neuen Graphic Novel "Annemarie" erfuhr, war klar, dass ich sie mir ansehe. 

Aber stellt sie einen relevanten Beitrag zu den bereits existierenden Werken dar? 

Ich denke ja. Die Autorinnen bleiben nah an Annemaries nur 34 Jahre währender Vita. Auf gut 150 Seiten werfen sie prägnante Schlaglichter auf ihr Leben und auf die wichtigsten Personen darin. Das Ganze ist von einem gelungen ausgewählten erzählerischen Rahmen gefasst. 

Der skizzenhafte Strich und die harmonisch komponierten, flächigen Farben schmeicheln den Augen. Je berauschter die Protagonistin ist, desto fahriger wird der Pinselstrich. Ebenso wurden einige Faksimiles in die Geschichte integriert und auch Auszüge von Annemaries Prosa.

Für alle, die von Annemarie Schwarzenbach noch nichts gehört oder über sie gelesen haben, ist die Graphic Novel definitiv ein guter Einstieg. Für alle, die sich für die Genderthematik auch in ihrer historischen Dimension interressieren, sowieso. Einziger Wermutstropfen: EIN Foto von ihr wäre toll gewesen. Denn diese zeigen so viel mehr von Annemarie Schwarzenbachs magischer Aura.