Dienstag, 30. November 2010

Morvan / Buchet: Sillage #11: Die schwebende Welt [Carlsen] Ein Kulturkampf-Kommentar in Comicform.


1998 erschien der erste Teil der Sillage-Reihe, in dem der Autor Jean David Morvan bereits eindrücklich unter Beweis stellte, dass er innerhalb des meist stark schematisierten Genre des Science Fiction-Comics eine besondere Stimme innehält. Seine dezidiert gesellschaftskritischen (und nicht selten offen politischen) Szenarien hoben sich in äußerst wohltuender Form von den käsigen Spaceopera-Narrativen (und drittklassigen Männerphantasien) zahlreicher Kollegen ab.

Aber nicht nur seine Art des Erzählens, des kritischen Berichtens, diese charmant-spöttische Sichtbarmachung von altbekannten Problemen des Erdenrund im Himmelsreich zeichnen diese Serie aus. Nein! Sein tuschender Kollege Philippe Buchet unterstützt ihn durch seine detailverliebten, versierten und dramatischen Zeichnungen in einem bewundernswert stimmigen Mass. Ein weiteres Traumpaar der Comicwelt.

Sillage ist eine der dienstältesten Serien im Hause Carlsen, die ohne langjährige Unterbrechnung erscheint und die, wenn man den etwas schwächelnden Band #10 einmal wohlwollend unterschlägt, bislang noch nicht enttäuscht hat. Elf Bände in zwölf Jahren, viele andere fortlaufende Serien gingen über diese Distanz in die Knie, wurden belanglos oder blass, wenn sich nicht sogar das Autoren/Zeichnerteam unversöhnlich verkrachte.

Aber aller Unkenrufe nach dem letzten Band zum Trotz, inzwischen liegt die elfte Episode aus dem Leben von Nävis vor, dieser inzwischen nicht mehr ganz so jungen Menschenfrau, die auf dem gigantischen Weltraumkonvoi Sillage ihre Kreise zieht. Und um es vorweg zu nehmen, die kleine Delle, die der letzte Teil hinterlassen hatte setzt sich nicht fort.

Aber wir wollen von Nävis sprechen, dieses kleine, einsame Menschenkind, das von Beginn an das Machtgefüge in diesem mehrere tausende Raumschiffe umfassenden Konvoi störte. Denn sie ist immun gegen die mentale Beeinflußung der obersten Kaste und stellte deren Führerschaft und Allmacht in Frage. Jedoch gelang es den Herrschenden schnell sie durch geschickte diplomatische Winkelzüge in ihre Dienste zu stellen, als Spezialagenzin für brenzlige Situationen. Black Op wäre wohl die adäquate Bezeichnung für diese gedrungene Söldnerin in Dienste der großen Ideen.

Es sollte sichtbar geworden sein, dass sich der psychologische Entwurf der Figur über die gesamte Reihe erstreckt. Nävis wird zum Spielball verschiedenster Interessen und nicht immer sind die Verläufe der Fronten klar sichtbar. Dienstleistungen für die Schattenkamarilla, Liquidierungsaufträge im Namen der Regierung - Nävis ist in ihren Taten kein Waisenkind, in ihrer Biografie jedoch schon. Dieses Defizit und ihr unbedingter (und verständlicher) Wunsch nach einem Zusammentreffen mit anderen ihrer Art führt zu einer tiefgreifenden Idealisierung und auch in dieser Suche nach diesem Wesen mit dem Namen Mensch finden sich zahlreiche philosophische Untertöne.

Nävis, deren Ausgestaltung ohne weiteres aus sinnlich/erotisch bezeichnet werden kann, ist eine einsame Kriegerin, gestrandet im All, adoptiert von einer Vielzahl fremder Gattungen ist einer korrupten Macht ausgeliefert und sie ist suchend nach Antworten und Anerkennung - Ja, sie ist eine gebrochene Heldin, glücklicherweise! Keine emotionslose Amazone, kein durch Silikonerhebungen liebreizendes Klischee.

Morvan und Buchet gelingt erzählerisch und grafisch ein Spagat zwischen genrekonformer Spannungsliteratur und subversiver Vieldeutigkeit. Sillage ist Unterhaltung und Politik, ein kritisches Nachdenken über den Menschen und ein hinreissender Comic - kurz ein Kunstgriff im Serienformat.

Der aktuelle Band setzt diese Traditionslinie fort. Es wird über einen Konflikt berichtet, den Nävis (erneut im zwielichtigen Auftrag) als Reporterin getarnt auskundschaften soll. Eine Tätigkeit, die gegen die Suspendierungsauflagen des Hohen Rats verstossen, der sie aufgrund ihres Ungehorsam zur Arbeitslosigkeit verdammt hat. Die allmächtige Korruption versucht ihre ehemalige Fachkraft für Delikante abzuservieren.

Im aktuellen Szenario zeigt sich eine weitere Finesse der Serie, die hier auf der offensichtlichen Erzähleben eine hochtechnologische und eien altertümliche Welt kollidieren lässt. Die Welt, die Nävis besucht befindet sich an einer zivilisatorischen Wegscheide, der Waffenhandel mit Feuerwaffen lässt das bisherige Gefüge des Planeten kollabieren und neue Mächte entstehen mit expliziter Duldung des Rates.

Auf den weiteren Erzählebenen ist der Comic jedoch ein schneidiges Kommentar. Der Entfremdungseffekt mag nicht originell oder subtil sein, aber eine Auseinandersetzung mit den großen Erzählungen des unsäglichen "Kampf der Kulturen" ist unübersehbar. Eine Kultur gerät in den Strudel der galaktischen Globalisierung und rast mit hoher Geschwindigkeit in eine neue Zeit, es kommt zu Verwerfungen. Erschwerenderweise gebären sich die Beauftragten der Regierung oftmals als Sextouristen, frei jeder interkulturellen Kompetenz, der Widerstand der Bevölkerung wächst. Es kommt zum offenen Konflikt, zu Übergriffen, zu Gräultaten, zu ideologisch motivierten Massakern.

Egal welche der aktuellen Auseinandersetzungen man nun als Folie benutzt, Sillage #11 spricht über die Kollision zweier sich fremder Weltauffassungen und diese Form des grafischen Nachdenkens bietet an manchen Stellen erhellendere Einblick in die Dynamiken eines Konfliktes als manch ein gutgemeintes Sammelbändchen voller politischer Essays. Und ich würde Morvan Huntington immer vorziehen. Ist eine reine Mehrwertentscheidung.

Ihr könnt den aktuellen Band dieser klugen Serie könnt ihr in beiden Filialen für 12 Euro erstehen, falls ihr nicht vorne beginnen wollt, mit dieser lohnenden Lektüre :D.

Snyder / King / Albuquerque: American Vampire [Vertigo] Ein berechtigter Hype & ein ganz klein wenig Etikettenschwindel.


Amerikanische Vampire! Ganz was neues! Und Stephen King schreibt mit! Soso! Die Werbemaschine ist gut geschmiert, die Etats großzügig bemessen und so stampft und marschiert der Hype unerbittlich durch das Vorweihnachtsgeschäft. Vorabexemplare für Buchhändler, eine breit angelegte Kampagne mit wohldosierten Marketing-Triggern und ein lautes Rauschen im Blätterwald ... hui! Aber mal ehrlich: Taugt er wirklich was, dieser Comic mit der Erfolgsautorbeteiligung?

Natürlich ist die Erwartungshaltung riesig, wenn einer der ganz Großen der Horrorliteratur in einem neuen Feld debütiert. Ebenso groß sind aber auch die Befürchtungen, dass es eine schäbige Bauchlandung wird, wenn clevere Trendschnitzer übereilt zwei Kunstpfade verknüpfen, die einfach nicht harmonieren wollen. Man mag aber ein saisonales Produkt auf den Markt werfen mag - insbesondere jetzt, wo der Hype rund um die lichtscheuen Langzähne fast jede Merchandisescheusslichkeit zu erlauben scheint.

Aber man muss feststellen, manche Sorge ist unbegründet. Stephen King ist immer schon mehr gewesen als ein reiner Genreautor, der nebenbei auch die Prinzipien der Vermarktungen begnadet beherrscht. Es gelang ihm in seinen Romanen stets eine sehr eigenständige Spannung und schwer fassbare Creepyness zu erzeugen, die kein anderer mit der gleichen Bravour aufs Papier bringen konnte.

Und seine Projektpartner Scott Snyder (Szenario, Storyboard) und Rafael Albuquerque (Illustrationen, Zeichnungen) sind wirklich keine zweite Wahl. Insbesondere die eigenständigen Bildwelten von Albuquerque wissen zu gefallen und liefern die perfekten grafischen Unterlagen für die zynischen, rüden, launischen und niemals blutleeren Szenarien von Snyder und King. Hier dürfen Vampire endlich mal wieder morden und meucheln, müssen sich nicht durch romantisierende Vorstellungswelten hemmen lassen. Eine Wohltat!

Natürlich wird hier aber auch ein ganz klein wenig Etikettenschwindel betrieben, denn King bleibt nicht über den gesamten Serienverlauf als Autor bzw. Co-Autor aktiv. Dieser Job wird nach dem ersten fünf Ausgaben komplett von Snyder übernommen. Aber als Kaufanreiz für den ersten Sammelband kann man es ja durchaus nutzbar machen. Liebe Marketinggemeinde, niemand wird euch deswegen gram sein.

Denn, erfreulicherweise versteht das junge Kaninchen seinen Job ebenso gut wie der alte Hase King. Snyder hat einige gelungene Kurzgeschichten unter dem Namen "Voodoo Heart" veröffentlicht. Zwei dieser Geschichten haben auch vor 3 Jahren ihren Weg auf die Shortlist der wichtigsten us-amerikanischen Anthologie "The Best American Short Stories" gefunden. Zuständiger Gastselekteur war im Jahre 2007 - Stephen King.

Man kannte sich also und wertschätzte sich, so entwickelte sich auch ihre Zusammenarbeit. Snyder fragte bei King an, ob er Interesse hat eine Schlüsselszene für seinen Comic zu entwerfen, King war begeistert vom Ansatz des jungen Wilden und im Ergebnis teilte man sich am Ende das Storyboard des ersten Serienzyklus.

Was bleibt ist ein erfrischender grafischer Parforceritt durch ein kreativ fast schon völlig erschlafftes Genre. Vampire wurden in den letzten Monaten in allen Form und Förmchen durchexerziert.

Plötzlich gibt es die romantischen Vampire ohne Kanten und Fehl, die hochsensiblen Blutsauger und vielerlei andere seltsame Nachtschattengewächse, aber leider fast kein verabscheuungswürdiges Monstrum mehr, kein abstossendes Ungetüm, kein lüsterner Unhold. Und daher ist American Vampire ein sehr schönes Antidot zur gegenwärtig vorherrschenden Maximalverkitschung.

Der Clou ist ja die grundlegende Idee des Comics, es kam zu einem evolutionären Sprung, die Vampirfamilien sind gespalten worden in die Zweige der alten und der neuen Welt. Die alten, dekadenten Vampire Europas sind schwach geworden, degeneriert, verhaftet geblieben in Duktus und Habitus der adeligen Schicht.

Der amerikanische Vampir hingegen ist wilder, roher, brutaler, kraftvoller, unempfindsam gegenüber Sonnenlicht und funkelndes Kruzifix. Und natürlich kommt es zu einer Abwehrschlacht zwischen beiden Gattungen und ganz nebenbei wird dann auch noch eine Geschichte Amerikas erzählt, die aufgrund der konsequenten Zeitebenen- und Ortswechsel niemals langweilig wird.

Ich habe in den letzten Monaten selten mit einem solchen Genuss einen Comic verschlungen. Er ist frisch, schlechtgelaunt und gewalttätig, die Bilder eigen. Natürlich ist die Figur des amerikanisierten Vampirs nicht frei von Kontroverse, aber wen kümmert solch ein Detail, wenn die Plots literarisch sind und die Stimmung einfach grandios ist. Bleibt abzuwarten ob sich der Höhenflug auch in den Folgebänden weiter fortschreibt. Wünschenswert wäre es insbesondere für Snyder, der sonst den Nimbus des Typs, der mal was mit King zusammen machte wohl nie wieder abschütteln kann. Ein Urteil, welches ich sehr bedauern würde.

Käuflich erwerbbar ist der hitzige, grimmige Subtypus in beiden Filialen, Kostenpunkt 16,95 Euro. Viel Vergnügen.