Die Adaption der weltbekannten Kurzgeschichte von Franz Kafka bildet den Abschluss dieser ersten Übersicht (1v3 & 2v3) zum aktuellen Stand der grafischen Literaturaufarbeitungen.
"In der Strafkolonie" von Sylvain Ricard & Mael ist zwar (innerhalb dieser Auswahl) die werkgetreueste Annäherung an den literarischen Text, jedoch unterscheidet auch sie sich deutlich von bisherigen Umsetzungen.
"In der Strafkolonie" von Sylvain Ricard & Mael ist zwar (innerhalb dieser Auswahl) die werkgetreueste Annäherung an den literarischen Text, jedoch unterscheidet auch sie sich deutlich von bisherigen Umsetzungen.
Nach "Die Verwandlung" (meine Besprechung findet ihr hier) legt Knesebeck
mit diesem Titel bereits den zweiten Comic zu Kafka vor. Ich bin
darüber nicht sonderlich verwundert, denn ich bewundere den Autor schon
seit langer Zeit für seine ausgesprochen filmische Ausdrucksweise. Auch,
dass erneut eine Kurzgeschichte aufgegriffen wurde, scheint
folgerichtig. Kafkas sozialkritische Miniaturen besitzen eine
erschreckend hohe Aktualität.
Die Strafkolonie - dieses brutale Sinnbild einer obrigkeitshörigen,
inhumanen Willkürjustiz erschrickt in der vorliegenden Comicform sogar
noch deutlich mehr als in seiner bereits schockierenden Textform. Diese
düstere, dystopische Ballade auf eine fetischisierte
Bestrafungsmaschinerie, bei der die Entmenschlichung des Delinquenten
zum Selbstzweck gerät, gehört für mich zum pointiertesten, was die (an
Dystopien nicht gerade arme) Literatur des 20. Jahrhunderts
hervorbrachte.
Das Texter/Zeichner-Duo legt eine atemberaubende Kooperation vor. Ricard hat den knappen Text verschlankt und nochmals radikalisiert. Mael ergänzt diese Wortgewalt mit detailreichen Bildern, die keinerlei Verkitschung zulassen.
Der unterkühlte, distanzierte Ton der Erzählung bleibt erhalten, er wird
aber durch die erschreckenden Bilder, die ihn flankieren, nochmals
verstärkt. Die Textebene verzichtet auf ein Skizzieren der
Tötungsapparatur, sondern fügt sie (in all ihrer grausamen Pracht) in
den Hintergrund ein.
Die Maschine wird stückweise sichtbar gemacht. Schrauben, Zahnräder - im
grellen Gegenlicht einer glühenden Sommersonne. Noch bevor die Maschine
erstmalig komplett sichtbar wird, fügen sich die Einzeleindrücke als
heimtückisches Bild vor dem inneren Auge zusammen.
Der expressive Strich Maels unterstreicht diese Wirkung gekonnt.
Die Überlappung der beiden medialen Zugänge ist beängstigend präzise.
Fast könnte man glauben, der Texter montiert einzelne Textsamples unter
eine Bildergalerie. Kein Wort zuviel, kein Strich zu wenig. Komplette
Verdichtung.
Kafka gelang durch seine hartherzige Versuchsanordnung das
Setting einer sehr frühen Medienkritik. Nicht nur der von den
Tötungsqualitäten seines Apparat beseelte, von ihrem
Vernichtungspotential fast trunkene Offizier erscheint abstossend
inhuman. Nein, auch der zuschauende und teilnehmende Beobachter wird
angeklagt.
Die Maschine - diese "Einheit aus Schrift und Tod" wird für beide zum fesselnden Schauspiel. Während sich die beiden an der technischen Präzision beim Vollzug des Urteils laben, tritt die Qual des Geknebelten, dieses Pergaments aus Fleisch in den Hintergrund. Stattdessen wird die Maschine zur Götze.
Die Maschine - diese "Einheit aus Schrift und Tod" wird für beide zum fesselnden Schauspiel. Während sich die beiden an der technischen Präzision beim Vollzug des Urteils laben, tritt die Qual des Geknebelten, dieses Pergaments aus Fleisch in den Hintergrund. Stattdessen wird die Maschine zur Götze.
Bei ihrer Anbetung wird die Egge, welche über die quälende Dauer von 12
Stunden hinweg die Haut des hellwachen Verurteilten zerreisst, fast
liebevoll geschildert. Diese kalte Maschinenliebe, die Kafka so
detailreich ausführte als er die Details dieses monströsen Apparats
hellsichtig niederschrieb wird, durch die schonungslose Visualisierung
im Comic fast greifbar.
Erwähnenswert ist auch der dem Comic vorangestellte Text, in dem beide
Autoren ausführen, weshalb sie diese Kurzgeschichte für einen der
Schlüsseltexte zum Verständnis von kaltblütiger Tyrannei und
der Dehumanisierung des ausgeschlossenen Anderen halten.
Der offensichtliche Humanismus, der diesen wenigen Zeilen innewohnt,
erklärt weshalb sie die abstossende und perfide Präzision der Maschine,
ihres Benutzers und seines Zuschauers so gnadenlos ausstellen. Sie
setzten auf das Überwältigungspotential ihres Werks und erklären den
eintretenden Ekel zum heilsamen Schock und somit zum einzig wirksamen
Mittel gegen die Faszination dieser Tötungsapparatur.
Ich denke, jede weitere Adaption eines literarischen Stoffes muss sich
an dieser nahezu perfekten Verschmelzung von Schrift und Bild messen
lassen. Sylvain Ricard & Mael ist ein Meisterwerk der
grafischen Erzählweise gelungen - nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen
Faszination für das Genie Kafkas.