Baranek? Der arbeitet hier nicht mehr! Oder doch? Hier meldet sich zwischendurch nicht Quitzi, sondern Dr. Quitzi! Wie im letzten Post bereits angekündigt, habe ich eine Zeitmaschine entwickelt, die es ermöglicht, dass man nicht einfach nur durch die Zeit reisen kann, sondern, dass man auch ehemalige Angestellte vom Groben Unfug dazu bringen kann, etwas auf dem Unfug-Blog zu veröffentlichen.
Achtung! So wäre es, wenn Baranek noch im Unfug arbeiten bzw. auf dem GU-Blog schreiben würde...
Ganz kurz noch ein Quitz-Funfact I: Gäbe es Baranek nicht, hätte ich mich wahrscheinlich nie bei Twitter angemeldet (und der Unfug schon gar nicht).
Ganz ganz kurz noch Quitz-Funfact II: Ich saß im Unfug Kreuzberg sogar noch auf demselben Stuhl wie Baranek und habe sogar noch mit seinen von Hand geschriebenen Karteikarten gearbeitet (tolle Karten, ganz ganz tolle Karten).
Aber nu is auch ma vorbei mit Quatsch, hier wie versprochen Baranek über Hair Shirt vom Avant Verlag
Die langen Schatten der Vergangenheit
Ein Trauma ist ein großer Mist. Weil es sich einschleicht, weil es sich versteckt, weil es mit der Zeit immer härter zuschlägt. Die einschlägige Forschung ist sich einig: der traumatisierte Patient kann die Konsequenzen des auslösendenden Erlebnisses zunächst nicht überblicken. Alles scheint normal wie immer. Aber irgendetwas stimmt nicht, zunächst nur in den kleinen Fehlern der Matrix sichtbar. Die Welt fühlt sich falsch an, denn nichts ist überwunden. Das Trauma kommt zurück mit aller Macht. Es verändert die Persönlichkeit, es erschwert soziale Bindungen. Es zerstört schließlich brutal.
In dem Comicroman "Hair Shirt" versucht der Kanadier Patrick McEown diesen Verlauf in eine halb-autobiografische Geschichte zu bringen. Urteil vorab: das gelingt ihm ziemlich gut. McEown ist allerdings auch Profi seines Fachs. Er hat an vielen kommerziellen Comicprojekten gearbeitet, lebt seit Jahren als Zeichner. Dieses Buch ist jedoch sein erstes Werk als Autor und er hat sich nicht gescheut, ein Thema aufzugreifen, an das sich nicht viele wagen: sexuelle Gewalt an Kindern in der Familie. Der Plot wird allerdings nicht aggressiv aufgetischt, sondern erschließt sich erst nach und nach. Er kommt hoch in alptraumhaften Bildern .
Die Geschichte entfaltet sich somit nicht linear, sondern wird immer wieder unterbrochen durch flashbackartige Sequenzen, die in der Vergangenheit liegen. Der Student John trifft zu Beginn seines Studiums alte Bekannte aus Kindertagen. Selbst noch ziemlich verwirrt durch eine soeben gescheiterte Beziehung knüpft er zarte Bande zu einer ersten, verflossenen Liebe, der Schwester des Jugendfreundes. Es entwickelt sich eine Beziehung, in deren Verlauf allerdings halb vergessene Ereignisse hochkommen. Unangenehme Erinnerungen setzen sich zusammen zu einem neuen Verständnis von in letzter Konsequenz schrecklichen Geschehnissen. Man hätte es früher wissen können, spüren müssen, wenn man 1 und 1 zusamengezählt hätte, aber erst jetzt bricht alles auf. Erst jetzt wird aus den verstörenden Traumszenarien, unter denen die Protagonisten leiden, eine bedrückende Wirklichkeit. Das Ende der Geschichte ist nicht happy, es löst nichts auf. Letztlich können sich die Personen nicht aus den Klammern der allmächtigen Vergangenheit lösen.
Für all das hat sich McEown für eine durchweg düstere Bildsprache entschieden. Der größte Teil des Buches ist in dunklen Farben gehalten: Brauntöne, Schattierung von Türkis, dreckige Grüns, geformt durch einen fast fahrig wirkenden Zeichenstil. Die visuellen Metaphern mit ihren verzerrten Perspektiven und bedrohlichen Fluchtpunkten schaffen eine bedrückende Atmosphäre, deren Workung man sich nicht entziehen kann. Das Geschilderte ist harmlos, aber die Bilder erzählen eine andere Geschichte.
Stil, Bilder und Story passen jedoch zusammen. Selten hat ein Comicroman die fürchterlichen, die Persönlichkeit deformierenden Konsequenzen kindlicher Taumata so einfühlsam und gleichzeitig in einer beinahe an Horrorliteratur erinnernden Manier geschildert. Sicher, es gibt auch Szenen voller Humor, voll zarter Intimität. Diese entpuppen sich jedoch als falsche Idyllen, die zerbrechen angesichts der Schrecken einer nicht verarbeiteten Vergangenheit. Das Trauma entfaltet sich mit einer schrecklichen Wucht.
Ein bedrückendes Buch, ein gelungener Versuch, ein Thema in seiner ganzen Tragweite zu formulieren, das niemanden kalt lassen kann. Das Trauma fordert Bilder. McEown liefert sie ohne exhibitionistische Drastik, sondern mit viel Empathie für seine Figuren, die sich quälen mit ihren Alpträumen, deren Sinn sie zunächst nicht zu deuten wissen. Ein exzellenter Beitrag zu einem heiklen Thema, eine schlau erzählte Geschichte über ein schreckliches Verbrechen, ein erstaunlicher Künstler mit mächtiger Bildsprache. Ein gutes Buch.
Hair Shirt
Patrock McEown
128 Seiten, Farbe, Paperback, 16 x 25 cm
Erschienen im avant-verlag, 2011
19,95 Euro