Mittwoch, 14. September 2022

aus dem Leben erzählt Teil 2: Meine bösen Töchter

Vor ein paar Wochen hatte ich hier ja schon Zelbas "Im selben Boot" besprochen. In dem erzählt sie autobiografisch aus ihrer Essener (Ruder-)Jugend um die Wendezeit. Nun hat mir ein Freund das Nachfolgewerk "Mes mauvaises filles" aus Frankreich mitgebracht.

(c) Zelba / Futuropolis 

Ich bin Feuer und Flamme. Denn darin geht es nicht nur um Sterbehilfe. Es ist auch ein sehr gut erzähltes Stück (bitteren) Lebens. Zelba verarbeitet in dieser Graphic Novel Krankheit und Tod ihrer Mutter Bri. 

Die Geschichte setzt drei Monate nach der Beerdigung ein. Der Vater der Endzwanzigerinnen Liv und Ylva heiratet wieder. Er und Bri waren schon länger getrennt, insofern ist dies keine wirkliche Überraschung. Dennoch hadern beide Töchter damit. Als Stimme aus dem Off führt die verstorbene Bri mit launigen Kommentaren in die Szenerie ein. 

Sie stellt die Hauptcharaktere vor und innerhalb von zehn Seiten steht das Setting. Hier finde ich super, dass Bris warmherziger (bisweilen makaberer) Humor schon voll zur Geltung kommt. Wie zum Beispiel im Rückblick auf diese Episode ihrer letzten Monate: Ihr Hämatologe hat eine gute und eine schlechte Nachricht für sie.

 
(c) Zelba / Futuropolis

Die schlechte lautet, dass sie sich bei einer Bluttransfusion mit Hepatitis C angesteckt hat. Die gute? Der Zustand ihrer Lungen ist schon so bedenklich, dass ihr nicht mehr genug Zeit bleibt, an einer Leberzirrhose zu sterben. "Freut mich zu hören!" ist der lakonisch-verschmitzte Kommentar von Bri. Wow... Dabei muss man wissen, dass sie bereits Zeit ihres Lebens Lungenprobleme hatte. 

Während ihre Töchter aufwuchsen, musste sie deswegen wiederholt längere Zeit ins Krankenhaus, so dass Liv und Ylva dieses nebst dem Personal seit ihrer Kindheit gut kennen. Im Teenageralter sitzen sie einmal mit ihrer Mutter in einem Café. An ihnen läuft ein Mann vorbei, dessen Atmung durch eine mitgeführte Sauerstoffflasche unterstützt wird. 

Bri schwört ihre Töchter darauf ein, dass dies für sie kein lebenswertes Leben darstellt. Sie will das ihre frei und in vollen Zügen genießen können. Ohne ständig an ihre Krankheit erinnert zu werden. Sollte es so weit kommen, wünscht sie keine lebenverlängernden Maßnahmen. Insofern liegen die Karten auf dem Tisch, als gut 15 Jahre später der Ernstfall eintritt. 

Bri kommt in einem kritischen Zustand ins Krankenhaus und es ist klar, dass sie dieses nicht mehr lebend verlassen wird. Liv, die ältere Tochter, ist vor Ort. Die Jüngere, Ylva, lebt in Frankreich, macht sich aber umgehend auf den Weg. Sie ist hochschwanger. Erzählt wird der letzte Abend, die letzte Nacht, die die beiden Schwestern mit ihrer Mutter verbringen. Und der folgende Tag, an dem Bri aus dem Leben scheidet.

Das ist keine leichte Kost – auch wenn es sehr leicht und stellenweise sogar amüsant daherkommt. Die Geschichte entwickelt einen tollen Sog. Und die Figuren wachsen einem sehr ans Herz. Ich habe die Graphic Novel jetzt schon zwei Mal gelesen, ohne sie zwischendrin wegpacken zu können. Und ich wüsste zu gern, welcher Teil der Erzählung Fiktion ist und welcher nicht. 

Sehr interessant ist auch das kurze Making-Of am Ende der Geschichte. Darin erzählt Zelba von dem langen Weg, den diese Geschichte nehmen musste, bevor sie so erzählt werden konnte. Wo einem schlussendlich ein wenig die Luft wegbleibt (pun intended), ist beim Foto von Bri, das dem Leser auf einer der letzten Seiten entgegenlächelt.

Es wäre toll, wenn "Mes mauvaises filles" ins Deutsche übersetzt würde. Nicht zuletzt, um der Debatte zum Thema Sterbehilfe einen weitere Stimme hinzuzufügen – und das in einem bislang noch nicht dafür genutzten Medium. Interessierte Verlage, bitte bei mir melden!