Typische Prenzlauer Berg-Episode, in dem man gerne sauschwere Blumenkübel auf schmalen Altbau-Balkon-Brüstungen im 4.Stock balanciert. Jetzt gab es ein bisschen Wetter (aka "Wind") und so ein Blumenkübel war auf den Gehweg runtergeknallt - keine Toten - aber der immernochlocker 5-Kilo schwere Inhalt hing an einem seidenen Faden (Wurzel?) an besagter Balkonbrüstung fest. Jetzt wurden unten am Gehweg bereits Passanten auf die Gefahr aufmerksam gemacht, aber das war natürlich keine Dauerlösung. Diese bestand aus Polizeiwagen! 2 Stück! Feuerwehreinsatzwagen! Feuerwehrleiterwagen! Der mit 2 Mann Besatzung in den 4. Stock hochfuhr!
Das Publikum war begeistert und gab auf dem Nachbarbalkon (wo ich stand) Standing Ovations! Feuerwehrleute posen ein wenig - und dann? Dann schubste einer vorsichtig den Blumenkübel-Rest-Inhalt vorsichtig über die Brüstung auf die Innenseite des Balkons. Das wars. Wäre einfacher gewesen den Schlüsseldienst zu holen und von innen das Problem zu lösen. Und billiger obendrein! War aber eine tolle Show, da waren sich alle einig. Wäre was für die Kinder gewesen. Richtig - die Kinder! Wo waren denn die kleinen Racker abgeblieben?
Es war nichts Schlimmes zwischenzeitlich passiert. Die kleinen Racker [wie gesagt 1-4 Jahre] hatten durchaus Spaß und neben den doofen Erwachsenen ihre eigene Party gefeiert. Da aber die Party allgemein schon um 15 Uhr gestartet hatte musste dieser Teil der Gäste mitsamt mind. einem Erziehungsberechtigten schon um 20 Uhr ins Bettchen. Der dagebliebe Erziehungsberechtigte konnte sich dann entspannt mit Singles (w)(m) und Plural über Erwachsenenthemen unterhalten und Gedanken äußern, die mehr als zwei Sätze brauchen. Toll, nè?
Als sich die Party im weiteren Verlauf des Abends auf die Dachterrasse verlagerte, konnte man sozusagen auch noch den II. Akt bewundern: "Was macht eigentlich die Jugend, wenn grade mal niemand hinguckt?" (Teenager-Edition: 12-16 Jahre) Antwort: Abwarten.
So gegen 22 Uhr war auf der Dachterrasse (halb öffentlicher Zugang, da Mehrparteien-Mietshaus) ein kleines Rudel "Dorfjugend" aufgetaucht. Also "Dorfjugend", da die Mitglieder weder sonderlich gepflegt, noch gestylt, noch irgendwie bewusst individuell aussahen. Einfach nur eine Gruppe sehr junger Menschen, die sich weder aggressiv verhielten noch sonst irgend eine Art von Kontakt suchten. Sie warteten.
Als sie ausreichend lange gewartet hatten (etwa eine Viertelstunde) schlenderte einer betont unauffällig zu der Pergola an das die Dachterrasse angrenzenden Haus ran. Kletterte dort hoch und ließ die auf dem Nachbardach versteckte Leiter runter. Woraufhin sich der Rest der "Dorfjugend" in froher Erwartung erhob und in gemäßigten Tempo zur Leiter joggte.
Aber da hatten sie nicht mit den alten Säcken gerechnet! Vor allem Katja (Ende Dreißig, Übermutter, sehr erfolgreiche Rechtsanwältin und leicht angetrunken) machte sie nach allen Regeln der Kunst rhetorisch zu Kleinholz.
"Aber wir sind doch schon 16!" lautete die klägliche Gegenwehr.
Ich warf dann noch ein, dass wir doch alle unsererzeit mal auf Dächern rumgekraxelt sind.
Zu Studienzeiten gerne auch mal in angetrunken Zustand! Und warum -
Richtig! Zu Studienzeiten! Kam dann als Gegenargument.
Da sei man ja wohl etwas älter als 16, könne das besser einschätzen- und
Und? Und wenn so ein Jugendlicher vom Dach falle wäre das ja wohl schwerwiegender als ein 5-Kilo-Blumentopf, der mit dem Feuerwehrleiterwagen gesichert werden muss.
Gemeingefährlich sei das! Später kam raus, dass der Hausmeister dieses Mehrparteien-Miethauses IMMER wieder morgens die Leitern einsammele! In dem einen Keller habe er schon 10 Leitern geparkt und in dem anderen Keller auch schon 3-5 Stück… BrummelBrummel.
Und was machte die Jugend dann?
Sie wartete.
Das kann sie gut.
Die Zeit ist schließlich auf IHRER Seite.
Olivia Vieweg Huck Finn (nach Mark Twain) Suhrkamp 140 Seiten | Paperback | 17 x 24 cm ISBN 9783518464298 19,99 EUR |
Die Graphic Novel "Huck Finn" kann sehr gut ohne Vorkenntnisse, Anglistik- oder Literaturstudium und Erwartung eines Bildungsbürgertums-Quickies gelesen werden. Diese Geschichte ist stark genug um alleine zu stehen.
Es beginnt mit der Jugend und kommt recht schnell zu einer Momentaufnahme, was mit vernachlässigten Jugendlichen passieren kann, wenn sie dann gerettet werden sollen. Wir kennen alle die Schlagzeilen und das schlechte Gewissen, dass in unserem sehr wohlhabenden Land immer noch junge Menschen unter die Räder kommen. Unerfreulich aktuell das. Und auch die Helfer (Pflegemutter und Sozialarbeiterin) - echte Gutmenschen - sind in ihrer naiven Hilflosigkeit und ihrem überbordenden guten Willen so … vertraut. Es kann einem schlecht werden.
Das sollte man sich aber besser für den Moment aufsparen wenn der leibliche Vater auftaucht und seinen Sohn aus der betreuten Pflege rausreißt. Weil er ihn liebt und nur das Beste für ihn will. Was ja, wenn man all die Nachrichten um vernachlässigte und misshandelte Kinder verfolgt, nicht so selten vorkommt. Das ist einfach etwas zu realistisch um es nur als gute Unterhaltung abzutun.
Etwas zu realistisch ist dann auch die zweite Hauptperson, eine knapp über minderjährige Zwangsprostituierte. Ok, man weiß ja dass es sowas gibt. Das es kein Einzelphänomen ist. Sondern Realität, in diesem unserem Lande. [Als ich im Freundeskreis von dem Buch erzählte, kam an dieser Stelle der Einwand, dass die Situation wohl ausgesprochen realitätsfern sein. Warum die beiden denn nicht einfach zur Polizei gingen? Sicher? Ein minderjähriger Junge, der von seinem prügelnden alkoholkranken Vater & eine knapp-über-minderjährige Zwangsprostituierte mit ausländischen Wurzeln, die von den Schlägerbanden ihrer Zuhälters gesucht wird? Gehen natürlich prima und sofort zur Polizei? Sachsensumpf anyone?]
Die Idee dann über Floß die Saale hinunter bis nach Hamburg zu kommen, ist zwar idiotisch (wie man als Erwachsener weiß). Aber durchaus naheliegend, um den Verfolgern auf unerwartete Weise zu entkommen (wie man als Jugendlicher gedacht hätte). Hier nimmt die Geschichte den Leser mit.
Die Stelle, an der die Geschichte dann wieder verliert, ist das knapp vor Schluss aufscheinende Happy-End in einer alternativen, ländlichen Großfamilie inklusive Dorfjugend, die frei, naturverbunden aber dabei doch sehr sozial eingebunden ist. Inklusive Elterninitativkita mit Sommerfest, veganem Nudelsalat und Piep-Piep-Piep-wir-haben-uns-alle-lieb. UND DANN die andere ländliche Großfamilie komplett massakriert. Wegen einer Fehde. DAS IST NICHT REALISTISCH. Nicht in Deutschland. Ok, es sind die Kohl'schen "blühenden Landschaften" von Deutschland. Zugegebenermassen, kenne ich mich in der Gegend nicht soo gut aus. Aber dennoch. (Andererseits ist auch mein persönlicher Kontakt zu Zwangsprostituierten oder sozial auffälligen Jugendlichen gleich null - obwohl ich in Berlin lebe - und DEN Teil der Geschichte hielt ich für glaubwürdig.)
[Eine kurze Recherche im mächtigen Internet ergab, dass dieser Teil tatsächlich durch die Vorlage motiviert ist.]
Das Ende ist wiederum auf poetische Weise realistisch. Wie oft sah man als Kind oder Jugendlicher das Weltende voraus, wenn man diese Sportprüfung nicht schaffte, die Klassenarbeit versemmelte oder einfach xyz verbockte.
Und dann passierte - NICHTS.
Das Leben ging weiter und man selbst auch.
Happy End.
Manchmal, aber nur manchmal, lösen Probleme sich ganz von allein.
JULES