Sicherlich, man kann Warren Ellis vorwerfen, dass er schon differenziertere Figuren entworfen hat, psychologische Konflikte konziser ausgearbeitet hat und spöttischer gegen die Mächtigen wetterte - aber warum?
In dieser Miniserie war dafür eben kein Raum vorgesehen, 80 Seiten, 3 Teile, Unmengen von zerteilten Leibern und zahllose hübsch inszenierte Schlachtungen als Nahmotiv - so lauteten die Eckdaten von Red. Kann man jetzt bemängeln und kritisieren, aber weshalb?
Gut, die Idee ist sicherlich nicht die Neuerfindug des Schwungrads, aber miserabel umgesetzt ist sie sicherlich nicht. Ähnlich wie Spider Jerusalem ist auch Paul Moses alias Red wieder eine vollkommen überzogene, grandiose Satire - nahezu hyperidentifikatorisch.
Red ist niemand anderes als der begnadetste Killer beider Hemisphären, der eigentlich nur seinen Ruhestand in Friede verbringen will. Gepeinigt von den Erinnerungen an seine Karriere als gedrungener Massenmörder wird er plötzlich Opfer eines staatlich sanktionierten Mordanschlags - den er natürlich unversehrt übersteht.
Red ist ein Symbol für die ehemals offenherzig blutrünstige Politik der Geheimdienste, die sich nie zu schade waren in Geheimoperationen Angst und Schrecken zu verbreiten. Natürlich ist diese Mischung aus konspirologischem Zierrat und eleganter Ultrabrutale jetzt nichts neues - aber die konsequente Geschwindigkeit von Red ist es schon.
Das Ergebnis des Showdowns ist von Seite Eins an klar und trotzdem meuchelt sich der unglaublich abstossende Antiheld quer durch die Abwehrketten und man entwickelt während dieser wilden Raserei eine gewisse Symphatie für ihn und seine fragwürdigen Ideale. Ein Fossil des Kalten Kriegs rächt sich an der nachfolgenden Generation - das Monster wendet sich gegen seinen Schöpfer, klingt bekannt oder?
Erstaunlicherweise ist Ellis der tatsächlichen medienpolitischen Linie damit sogar voraus, denn inzwischen ist eine Aussstrahlung des dritten Teils der ehemals ur-amerikanischen John Rambo-Saga in den nordamerikanischen Lichtfilmhäusern nicht mehr wirklich gerne gesehen. Erinnert doch dieses Stück Actionkino an eine zwischenzeitlich gerne verdrängte Episode der us-amerikanischen Aussenpolitik.
Eine ähnliche politische Amnesie soll auch durch die Liquidierung von Red erreicht werden, frei nach dem Motto, wenn wir unseren schmutzigsten Killer ausschalten können wir unsere Hände wieder in Unschuld waschen und müssen uns keinen weiteren unbequemen Fragen durch eine sensibilisierte Öffentlichkeit stellen.
Die politisch motivierten Morde in welche Red involviert war werden zu Beginn des dritten Teils in einer einzigen Seite, welche Vergangenheit und Gegenwart überblendet, verdichtet.
Erkennbar ist hierbei der Mord an JFK, Dr. King und zwei für mich nicht identifierbaren Personen, wobei die zweite auf erschreckende Weise Aung San Suu Kyu ähnelt. Der Comic beweist in diesen vier Panels seine wahre Finesse, wenn er zwischen den genrekonformen imaginären Orten eines Thrillers und einer dezidiert im Realen verwurzelten provokanter Anklage changiert.
Ellis ist auf der Folie eines fast schon torturepornaffinen Rachefeldzug eine gallige und bissige Satire auf die gegenwärtige Politik der Geheimdienste gelungen, deren High Noon mitten in Langley stattfinden wird. Mal sehen wie viel von diesem durchaus subversivem Potential bei der Verfilmung übrig bleibt, mir schwant schlimmes!
Wer sich selbst ein Bild von dieser grandiosen Herrschaftssatire und einen der kaputtesten Charaktere der heutigen Comicwelt machen mag, der wird in beiden Filialen fündig - Kostenpunkt 12,95 Euro (SC).