Montag, 31. Mai 2010

Joann Sfar - Der kleine Prinz [Carlsen] ... Die melancholische Suche nach dem Sinn im neuen Krakelstrichgewand

Eines der populärsten französischen Büchern und einer der bekannsten (aktuellen) französischen Comic-Koryphäen treffen zusammen - kann hier noch irgendwas daneben gehen? Meiner Meinung nach - ja, sehr wohl, denn der Erwartungsdruck kann zu hoch sein, man kann von Joann Sfars immer schon eigenständigem Strich abgestossen sein oder sich im klassischen Vorbehalt gegenüber Comics verheddern. Aber ansonsten, kann man sagen, hier wurde alles richtig gemacht.

1943 wurde der unbestrittene Kinderbuchklassiker als illustrierte Erzählung erstmalig veröffentlicht. Antoine de Saint-Exupéry selbst gestaltete damals das Buch. Ein Fakt, der die persönliche Tiefe und Note des Buches unterstreicht, bereits hier wurden die inzwischen nahezu ikonografisch gewordenen Figuren skizziert.

Der kleine, traurige Blondschopf, der auf der Suche nach Wahrheit, Substanz, Tiefe und anderen lebensbeglückenden Inhalten ist, tritt auch hier auf. Ebenso der Trinker, welcher durch Sfar auf nur einer Seite mit 6 kleinen Panels erschreckend nüchtern inszeniert wird. Der König ohne Gefolge oder Untertanen, der Eitle ohne Bewunderer, all diese Figuren besitzen einen sehr aktuellen Kern und die Bezüge zu Starkulten und Selbstbespiegelung mit hohem PR-Aufwand sind eigentlich nicht zu übersehen.

Sfar gelingt es die Inhalte des über 60 Jahre alten Klassikers in die Jetztzeit zu übertragen, ohne dabei die Zeitlosigkeit des Originals zu gefährden. Sein bewusst, krakeliger Strich unterstützt die, natürlich nur auf den ersten oberflächigen Blick hin, naiv anmutende Position des Kleinen Prinzen, der nichts weiter als Aufrichtigkeit und Seelentiefe sucht.

Natürlich könnte man jetzt als zynischer Spötter anmerken - Eskapismus! Ja, sicher, aber ein wunderschöner. Was mich an diesem Buch (und dieser Adaption) immer wieder fesselte und überzeugte, war der Mut, den Kindern, die in heutigen Kinderbuchveröffentlichungen scheinbar gerne als etwas minderbegabt oder ahnungslos aufgefasst werden, die Kenntnisse zuzusprechen, die kalte Welt der Erwachsenen sehr wohl zu verstehen, aber ihre Regeln und Beschränkungen bewusst ablehnen.

Und natürlich bietet sich ein in der "Weltflucht" erfahrerener Charakter wie Saint-Exupéry an, eine tiefsinnige Auseinandersetzung über die moralischen Deformationen und Verheerungen der Erwachsenenwelt zu führen. Man darf nicht vergessen, dass dieses heute etwas verniedlichte Buch ein Resultat des Krieges und des Exils war. Ich denke dieses Verlustgefühl ist unübersehbar, wenn man sich auf die fremde, naive Welt des Kleinen Prinzen einlässt.

Sfar gelingt es vorzüglich diese melancholischen Gefühlslagen zu visualisieren, stellenweise sogar nochmals zu potenzieren, ganz ohne dabei in den Kitsch abzudriften. Der Comic bleibt stets leicht und gleichzeitig tiefsinnig und die poetische Bildsprache dieses Ausnahmezeichners gewinnt eine weitere Nuance hinzu. Und möglicherweise gelingt es ihm sogar mit seiner Zeichnug des Fuchses den, ohnehin reichen französischen Fabelkanon um eine neue, wunderschöne Figur zu ergänzen.

110 Seiten voller liebevoller Miniaturen (im Krakelstrich), gerahmt von den slapstickhaften Anfängen der Unterhaltungen der beiden (Pilot & Prinz), welche sich nur um den Elefanten im Bauch der Boa drehen bis hin zum kummervollen, niedergeschlagenen Abschied, bei welchem der Kleine Prinz vor unserer aller Augen zu Tode kommt, kein klassisches Happy End, oder?

Für alle, die sich als Kinder in ihrem erwachsenen Körpern beengt fühlen eine wundervolle Empfehlung, aber auch für alle, die sich gelegentlich mal mit Hingabe dem Eskapismus hingeben können - ein fabelhafter, visuell anspruchsvoller Comic ist es ja ohnehin ... ja Flaneurempfehlung!

Käuflich erwerbbar ist dieses etwas andere "Kinderbuch" in beiden Filialen, Kostenpunkt 14,90 Euro (HC).