1998 erschien der erste Teil der Sillage-Reihe, in dem der Autor Jean David Morvan  bereits eindrücklich unter Beweis stellte, dass er innerhalb des meist  stark schematisierten Genre des Science Fiction-Comics eine besondere  Stimme innehält. Seine dezidiert gesellschaftskritischen (und nicht  selten offen politischen) Szenarien hoben sich in äußerst wohltuender  Form von den käsigen Spaceopera-Narrativen (und drittklassigen  Männerphantasien) zahlreicher Kollegen ab. 
Aber nicht nur seine Art des  Erzählens, des kritischen Berichtens, diese charmant-spöttische  Sichtbarmachung von altbekannten Problemen des Erdenrund im Himmelsreich  zeichnen diese Serie aus. Nein! Sein tuschender Kollege Philippe Buchet  unterstützt ihn durch seine detailverliebten, versierten und  dramatischen Zeichnungen in einem bewundernswert stimmigen Mass. Ein  weiteres Traumpaar der Comicwelt. 
Sillage ist eine der  dienstältesten Serien im Hause Carlsen, die ohne langjährige  Unterbrechnung erscheint und die, wenn man den etwas schwächelnden Band  #10 einmal wohlwollend unterschlägt, bislang noch nicht enttäuscht hat.  Elf Bände in zwölf Jahren, viele andere fortlaufende Serien gingen über  diese Distanz in die Knie, wurden belanglos oder blass, wenn sich nicht  sogar das Autoren/Zeichnerteam unversöhnlich verkrachte.
Aber aller Unkenrufe nach dem  letzten Band zum Trotz, inzwischen liegt die elfte Episode aus dem Leben  von Nävis vor, dieser inzwischen nicht mehr ganz so jungen  Menschenfrau, die auf dem gigantischen Weltraumkonvoi Sillage ihre  Kreise zieht. Und um es vorweg zu nehmen, die kleine Delle, die der  letzte Teil hinterlassen hatte setzt sich nicht fort.
Aber wir wollen von Nävis  sprechen, dieses kleine, einsame Menschenkind, das von Beginn an das  Machtgefüge in diesem mehrere tausende Raumschiffe umfassenden Konvoi  störte. Denn sie ist immun gegen die mentale Beeinflußung der obersten  Kaste und stellte deren Führerschaft und Allmacht  in Frage. Jedoch  gelang es den Herrschenden schnell sie durch geschickte diplomatische  Winkelzüge in ihre Dienste zu stellen, als Spezialagenzin für brenzlige  Situationen. Black Op wäre wohl die adäquate Bezeichnung für diese  gedrungene Söldnerin in Dienste der großen Ideen.
Es sollte sichtbar geworden  sein, dass sich der psychologische Entwurf der Figur über die gesamte  Reihe erstreckt. Nävis wird zum Spielball verschiedenster Interessen und  nicht immer sind die Verläufe der Fronten klar sichtbar.  Dienstleistungen für die Schattenkamarilla, Liquidierungsaufträge im  Namen der Regierung - Nävis ist in ihren Taten kein Waisenkind, in ihrer  Biografie jedoch schon. Dieses Defizit und ihr unbedingter (und  verständlicher) Wunsch nach einem Zusammentreffen mit anderen ihrer Art  führt zu einer tiefgreifenden Idealisierung und auch in dieser Suche  nach diesem Wesen mit dem Namen Mensch finden sich zahlreiche  philosophische Untertöne. 
Nävis, deren Ausgestaltung ohne  weiteres aus sinnlich/erotisch bezeichnet werden kann, ist eine einsame  Kriegerin, gestrandet im All, adoptiert von einer Vielzahl fremder  Gattungen ist einer korrupten Macht ausgeliefert und sie ist suchend  nach Antworten und Anerkennung - Ja, sie ist eine gebrochene Heldin,  glücklicherweise! Keine emotionslose Amazone, kein durch  Silikonerhebungen liebreizendes Klischee.
Morvan und Buchet gelingt  erzählerisch und grafisch ein Spagat zwischen genrekonformer  Spannungsliteratur und subversiver Vieldeutigkeit. Sillage ist  Unterhaltung und Politik, ein kritisches Nachdenken über den Menschen  und ein hinreissender Comic - kurz ein Kunstgriff im Serienformat. 
Der aktuelle Band setzt diese  Traditionslinie fort. Es wird über einen Konflikt berichtet, den  Nävis  (erneut im  zwielichtigen Auftrag) als Reporterin getarnt  auskundschaften soll. Eine Tätigkeit, die gegen die  Suspendierungsauflagen des Hohen Rats verstossen, der sie aufgrund ihres  Ungehorsam zur Arbeitslosigkeit verdammt hat. Die allmächtige  Korruption versucht ihre ehemalige Fachkraft für Delikante  abzuservieren.
Im aktuellen Szenario zeigt sich  eine weitere Finesse der Serie, die hier auf der offensichtlichen  Erzähleben eine hochtechnologische und eien altertümliche Welt  kollidieren  lässt. Die Welt, die Nävis besucht befindet sich an einer  zivilisatorischen Wegscheide, der Waffenhandel mit Feuerwaffen lässt das  bisherige Gefüge des Planeten kollabieren und neue Mächte entstehen mit  expliziter Duldung des Rates. 
Auf den weiteren Erzählebenen  ist der Comic jedoch ein schneidiges Kommentar. Der Entfremdungseffekt  mag nicht originell oder subtil sein, aber eine Auseinandersetzung mit  den großen Erzählungen des unsäglichen "Kampf der Kulturen" ist  unübersehbar. Eine Kultur gerät in den Strudel der galaktischen  Globalisierung und rast mit hoher Geschwindigkeit in eine neue Zeit, es  kommt zu Verwerfungen. Erschwerenderweise gebären sich die Beauftragten  der Regierung oftmals als Sextouristen, frei jeder interkulturellen  Kompetenz, der Widerstand der Bevölkerung wächst. Es kommt zum offenen  Konflikt, zu Übergriffen, zu Gräultaten, zu ideologisch motivierten  Massakern. 
Egal welche der aktuellen  Auseinandersetzungen man nun als Folie benutzt, Sillage #11 spricht über  die Kollision zweier sich fremder Weltauffassungen und diese Form des  grafischen Nachdenkens bietet an manchen Stellen erhellendere Einblick  in die Dynamiken eines Konfliktes als manch ein gutgemeintes  Sammelbändchen voller politischer Essays. Und ich würde Morvan  Huntington immer vorziehen. Ist eine reine Mehrwertentscheidung.
 

 
