Heute stelle ich euch mit Nietzsche von Michel Onfray & Maximilien Le Roy den zweiten Titel des Comics & Literatur-Specials vor. Den ersten Titel dieses Triples findet ihr hier (1v3).
Die Stoßrichtung dieser illustrierten Annäherung an die literarische Sphären Nietzsches ist eine gänzlich andere. Während Straboni & Maurel mit
den biografischen Details ihres Porträtierten Schabernack trieben,
zielen die Autoren dieses Titel auf eine sehr wirklichkeitsnahe
Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte des (zu Unrecht verfemten)
Autors.
Die Poesie des Übermenschen blieb nicht vor dem ideologischen Zugriff
der Rassisten der Nationalsozialismus verschont. Dies ist auch der
fragwürdigen Editionsgeschichte des literarischen Ouevres durch
Nietzsches ariosophische Schwester Elisabath Förster-Nietzsche
geschuldet.
Fraglos boten sich zahlreiche Formulierungen an, um das
herrenmenschliche Ideengebäude der Ariosophen zu stützen - allerdings
musste hierzu jeglicher Kontext entfernt werden. Nietzsche Vorbehalte
gegenüber der jüdischen Kultur speisten sich ausschliesslich aus seiner
nahezu grenzenlosen Abscheu vor der theologischen Überlieferung. Diese
Angriffe galten aber nicht nur dem jüdischen, sondern auch dem
christlichen Glauben, da beide Bekenntnisse in einer klaren
Traditionslinie zueinander stehen.
Als Kind seiner Zeit agitierte Nietzsche in aller Schärfe und
wortgewaltig gegen die Übermacht der theologischen Deutungen im
öffentlichen Diskurs. Seine lebensphilosophischen Entwürfe zielten auf
eine gedankliche Orientierung ab, die keinerlei außerweltliche
Sinnstiftungsmomente mehr benötigt.
Dass die aggressiv-vitalistischen Strukturen der NS-Ideologeme hierzu
Schnittmengen aufwiesen überrascht nicht, dennoch kann man Nietzsche
nicht als Gründungsfigur dieser abgründigen Ideen verurteilen, wie dies
insbesondere die Germanistik der DDR tat. Dies wäre absurd.
Michel Onfray, der als der profilierteste Nietzschekenner
Frankreichs gilt, unternimmt jedoch nicht nur den Versuch Nietzsches
Werk (und die Person) reinzuwaschen von diesen unrichtigen
Zuschreibungen. Vielmehr versucht er auch die zerrissene Person hinter
dem mit dem Hammer argumentierenden Philosophen sichtbar und
verständlich zu machen.
Das manische, wechselhafte Wesen Nietzsches ist bekannt - zahllose
Autoren versuchten diese impulsive Zerissenheit zu einer widerständigen
Qualität umzumünzen. Dieser Zuschreibungstradition entzieht sich Onfray
gekonnt. Er schreibt keine Heldengeschichte des Irrsinns, sondern
inszeniert geradlinig das Leiden dieses Autors. Leider muss man ihm
gerade hier den schärfsten Vorwurf machen. Er schreibt als intimer
Kenner und mit dem Werk Vertrauter ...
... für Außenstehende bleiben von ihm gewählten Stationen des Lebenswegs
Nietzsches leider unverständlich. Der Comic ist ohne ein umfangreiches
Vorwissen leider nicht zu erschliessen. Diesem Defizit hätte mit einem
geringen editiorischen Mehraufwand begegnet werden können, eine kurze
biografische Notiz oder eine knappe Zeittafel hätten genügt. Weshalb der
Verlag / der Autor sich gegen dieses Vorgehen entschlossen hat,
erschliesst sich mir nicht.
Abseits dieser inhaltlichen Kritik muss ich den Titel für seine überwältigende grafische Ausdruckskraft loben. Le Roy, dessen eindrucksvollen Arbeit ich schon in der Besprechung von "Die Mauer" würdigte zelebriert hier ein pastellfarbenes Wechselspiel aus Licht & Schatten, welches seinesgleichen sucht.
Der junge Zeichner schildert eindruckvoll, wie Nietzsche immer tiefer in
seine mentalen Krisen hinabsinkt, keiner der expressiven Striche ist
falsch gesetzt, nichts ist überflüssig oder gar plakativ. Die
Porträtstudien, die den strauchelnden Denker während der Verdunkelung
seines Genies zeigen, sind einprägsam und lassen auf ein sehr
emphatisches Arbeiten schliessen.
Die visuelle Umsetzung setzt bewusst auf eine textarme Adaption - nur
wenige, verdichtete Dialoge strukturieren den Comic, manche Seiten
bleiben völlig textfrei. Und genau hier liegt der Knackpunkt dieser
Adaption. Zeichnerisch und dramaturgisch wird hier eine eindrucksvolle
Leistung präsentiert, dem Zeichner kann keinerlei Vorwurf gemacht
werden.
Aber gerade aus dieser radikalen Verdichtung speist sich die
Unzugänglichkeit des Textes. Diesen Mangel muss man Onfray zuschlagen,
er wäre als Storyboarder und Skripter verpflicht gewesen für eine
bessere Verständlichkeit zu sorgen, hier scheitert der Experte leider an
seiner Textgestaltung.
Liest man eine der zahlreichen Biografien Nietzsches parallel zum Comic,
werden alle gewählten Ausschnitte nachvollziehbar, aber leider kann der
Autor nicht annehmen, dass jeder Leser bereit ist diese Mehrarbeit zu
leisten. Dabei hatte er sämtliche relevanten Bruchstellen der Biografie
aufgegriffen und aufgearbeitet.
Das Lossagen von den wagnerischen Ideen, der Verlust der Basler
Professur, die unglückliche Liebe zu Lou von Salomé, der von Nietzsche
als traumatisch erlebte Tod der Mutter, der fortschreitende geistige
Verfall und die andauernden Konflikte mit seiner Schwester um die
Deutungshoheit seiner Schriften. All dies findet sich in den knappen
Texten wieder - jedoch leider so stark codiert, dass dieser Comic eine
Lektüre von Sekundärliteratur unumgänglich macht.
Als Resümee kann gesagt werden, dass der Comic ein visuelles Meisterwerk
ist, für Kenner der biografischen Eckdaten Nietzsches. Allen anderen,
neugierigen Leser kann ich für eine befriedigende Lektüre nur anraten,
zunächst etwas Recherche zu betreiben. Diese gekonnte Annäherung an den
missverstandenen Denker sollte sich aber, aller Kritikwürdigkeit des
Vorgehens zum Trotz, niemand entgehen lassen.