Israel im Comic (2v3)
Heute möchte ich euch den zweiten Comic des Triples vorstellen. Die erste Besprechung findet ihr hier (1v3). Es handelt sich hierbei um den Titel "Aufzeichnungen aus Jerusalem" des Frankokanadiers Guy Delisle.
Der Autor wurde bereits mit seinem Erstlingswerk (Shenzhen) einem kleinen Kreis von Comictätigen bekannt. Denn, er schilderte die Arbeitsbedingungen eines Comiczeichners in dieser kapitalistischen Enklave im Herzen Chinas, sehr eindrücklich und gewitzt.
Weltbekannt wurde er jedoch durch seinen zweiten Comic Pjöngjang - den er 2003 vorlegte (meine Besprechung findet ihr hier). Dieser Bericht einer Reise durch die Hauptstadt der nordkoreanischen Diktatur quoll über vor klugen, pointierten und eigensinnigen Alltagsbeschreibungen. Der Comic erlaubte den Lesern Innenansichten in ein hermetisch abgeschottenes Land, welches aufgrund der fehlenden Bilder, fast nicht in unserer Nachrichtensphäre stattfindet.
Im Anschluss porträtierte er als mitreisender Ehemann in "Aufzeichung aus Birma" das Leben seiner Gattin, einer medizinischen NGO-Aktivistin, in Myanmar. Ein Land, welches er in bekennender Art - wider die Benennungspolitik des Regimes - Birma nannte.
In seinem aktuellen Comic begleitet er, erneut als mitreisender Ehemann, seine Frau nach Israel. Sie ist als medizinische Fachkraft der humanitären NGO (MSF - Médecins Sans Frontières) in einem Flüchtlingslager im Gazastreifen tätig & beide wohnen im Ostteil Jerusalems. Delisle verbringt fast ein Jahr in Jerusalem.
Bereits diese Eckdaten (Wohnort & Anwesenheitsdauer) unterscheiden die Beschreibungen von Gliddens Schilderungen. Verständlicherweise kann sich der Autor somit ein gänzlich anderes, komplexeres Bild des Landes machen, aber auch seine chronistische Arbeit unterscheidet sich grundlegend von der Gliddens.
Während Glidden nur ihre Erfahrungen der Durchreise beschreiben kann, schildert Delisle die Anreise, die Akklimatisierung, die sorgsame Organisation des Alltags und die bürokratischen Herausforderungen seines Lebens in Israel.
Mehrfach besucht er Comicfestivals ausserhalb Israels und wird bei der Wiedereinreise mit zahllosen Fragen durch die israelischen Sicherheitsbehörden konfrontiert, die ein besonderes Interesse an der Arbeit seiner Frau zeigen.
Delisle wäre nicht der sorgsame Beobachter und leise Erzähler, wenn er solch enervierende Erlebnisse für günstigen Applaus ausschlachten würde, stattdessen schildert er seine Erfahrung kommentarlos, aber niemals ohne Augenzwinkern. Auch in seiner vierten Länderchronik blitzt der schelmische Charme dieses Erzähler ständig auf.
Delisle kann durchaus als dezidiert politischer Autor definiert werden, der sich jedoch niemals aus einer erklärenden Perspektive einem Inhalt annähert. Vielmehr inszeniert er sich als politisch ahnungloser Naivling, der sich in kindlicher Art einem strittigen Inhalt nähert, statt ihn (den Leser bevormundet) zu analysieren. Dies zeigt sich überdeutlich in der Szene eines Tischgesprächs, bei dem der Status Jerusalems beleuchtet wird.
Die Landespolitik benennt Jerusalem als Hauptstadt des israelischen Staates, sämtliche internationalen Vertretungen befinden sich jedoch in Tel Aviv, da die Weltgemeinschaft Jerusalem - aufgrund der illegalen Besatzung des Ostteils der Stadt - diesen Status nicht zuerkennt. Er streut fast beiläufig die komplexen Problematiken dieses Landes in seine Erzählung ein.
Auch der fortlaufende Mauerbau und die Praxen der Sicherheitskräfte an den Checkpoints werden von ihm in Szene gesetzt. Aber statt ein anklagendes Panorama, der durch die UN scharf kritisierten Zugangsbeschränkungen für Palästinenser zu entwerfen, lässt er seinen unglaublich einnehmenden Humor wirken.
Sein mit wenigen Strichen skizziertes, spitznasiges & stets aus dem Profil zu bewunderendes Alter Ego nimmt, gemeinsam mit einer Gruppe von älteren mensschenrechtsbewegten Damen, an einer Protestkundgebung gegen die Checkpointpolitik teil.
Delisle porträtiert diese Szene mit seiner ihm eigenen, fast spitzbübigen, Gewandheit und Eleganz. Er lässt hierbei seine Blicke schweifen, summiert einzelne Eindrücke dieses hochkomplexen Prismas aus Wut und Furcht, aus Abscheu gegenüber der Willkür der Soldaten und deren (durch die Politik erzwungenen) Arbeitsweise.
Delisle benennt keine Täter, keine Opfer - er schildert eine Alltagsszene und krönt diese konzise Beobachtung mit der Darstellung eines Sandwichverkäufers, der völlig unbeeindruckt, im einsetzenden Hagel aus Steinen und Tränengasgeschossen, seinem Tagewerk nachgeht. Beeindruckend.
Und diese willkürlich herausgegriffene Szene ist nur eine der zahllosen Miniaturen der Beobachtungen des israelischen Alltags, die diesen Comic zu einem Meisterwerk machen. Ich wage zu behaupten, dass auch ein einjähriger Aufenthalt, nicht gleichzusetzen ist mit einem Verstehen des Landes...
... eines Landes, in dem in Fusswegentfernung zwei komplett verschiedene Welten (ko)existieren. Im Ostteil der Stadt stapelt sich der Müll, hier befinden sich nur wenige, selten gut ausgestattete Geschäfte, während in einer israelischen Siedlung, die sich tatsächlich hinter einem Erdwall befindet, ein Überangebot vorzufinden ist. In einem Kaufhaus findet Delisle selbst seine kanadischen Lieblingsflocken. Diese dichte, leichtfüssige Pointe auf die schreiende Ungleichverteilung kann nur als gelungen bezeichnet werden.
Aber ein Aufenthalt in Israel, ist ohne Bezugnahme auf muslimische Kontexte (abseits einer Busreise) unmöglich. Und auch hier kann ich Delisle nur loben, weil er nicht in das oft bemühte Binärnarrativ verfällt und sich jeder Opferzuschreibung verweigert. Er zeichnet sich lieber selbst, wie er vergnügt pfeifend, sich an einem Apfel labend, durch die Strassen zieht. Im Ramadan. Pfeifend. Man muss ihn mögen.
"Aufzeichnungen aus Jerusalem" zeichnet ein sehr komplexes, niemals einseitiges oder anklagendes Bild des Aufenthalts. Delisle stellte zahlreiche Eindrücke und Skizzen seiner Zeit in Israel bereits während seines Stationmachens auf seinem Blog (hier) vor.
Er rekonstruiert die gesammelten Skizzen und Erzählungen im Anschluss und auch wenn der Großteil des Comics chronologisch angelegt ist, existieren einige wenige Raffungen und Vorgriffe, die den 334 Seiten starken Comic, der in der deutschen Übersetzung bei Reprodukt verlegt wird, zu einem faszinierend dicht komponierten Werk machen, welches ebenso oft nachdenklich stimmt, wie es zu einem begeisternden Kichern einlädt.
Der Autor wurde bereits mit seinem Erstlingswerk (Shenzhen) einem kleinen Kreis von Comictätigen bekannt. Denn, er schilderte die Arbeitsbedingungen eines Comiczeichners in dieser kapitalistischen Enklave im Herzen Chinas, sehr eindrücklich und gewitzt.
Weltbekannt wurde er jedoch durch seinen zweiten Comic Pjöngjang - den er 2003 vorlegte (meine Besprechung findet ihr hier). Dieser Bericht einer Reise durch die Hauptstadt der nordkoreanischen Diktatur quoll über vor klugen, pointierten und eigensinnigen Alltagsbeschreibungen. Der Comic erlaubte den Lesern Innenansichten in ein hermetisch abgeschottenes Land, welches aufgrund der fehlenden Bilder, fast nicht in unserer Nachrichtensphäre stattfindet.
Im Anschluss porträtierte er als mitreisender Ehemann in "Aufzeichung aus Birma" das Leben seiner Gattin, einer medizinischen NGO-Aktivistin, in Myanmar. Ein Land, welches er in bekennender Art - wider die Benennungspolitik des Regimes - Birma nannte.
In seinem aktuellen Comic begleitet er, erneut als mitreisender Ehemann, seine Frau nach Israel. Sie ist als medizinische Fachkraft der humanitären NGO (MSF - Médecins Sans Frontières) in einem Flüchtlingslager im Gazastreifen tätig & beide wohnen im Ostteil Jerusalems. Delisle verbringt fast ein Jahr in Jerusalem.
Bereits diese Eckdaten (Wohnort & Anwesenheitsdauer) unterscheiden die Beschreibungen von Gliddens Schilderungen. Verständlicherweise kann sich der Autor somit ein gänzlich anderes, komplexeres Bild des Landes machen, aber auch seine chronistische Arbeit unterscheidet sich grundlegend von der Gliddens.
Während Glidden nur ihre Erfahrungen der Durchreise beschreiben kann, schildert Delisle die Anreise, die Akklimatisierung, die sorgsame Organisation des Alltags und die bürokratischen Herausforderungen seines Lebens in Israel.
Mehrfach besucht er Comicfestivals ausserhalb Israels und wird bei der Wiedereinreise mit zahllosen Fragen durch die israelischen Sicherheitsbehörden konfrontiert, die ein besonderes Interesse an der Arbeit seiner Frau zeigen.
Delisle wäre nicht der sorgsame Beobachter und leise Erzähler, wenn er solch enervierende Erlebnisse für günstigen Applaus ausschlachten würde, stattdessen schildert er seine Erfahrung kommentarlos, aber niemals ohne Augenzwinkern. Auch in seiner vierten Länderchronik blitzt der schelmische Charme dieses Erzähler ständig auf.
Delisle kann durchaus als dezidiert politischer Autor definiert werden, der sich jedoch niemals aus einer erklärenden Perspektive einem Inhalt annähert. Vielmehr inszeniert er sich als politisch ahnungloser Naivling, der sich in kindlicher Art einem strittigen Inhalt nähert, statt ihn (den Leser bevormundet) zu analysieren. Dies zeigt sich überdeutlich in der Szene eines Tischgesprächs, bei dem der Status Jerusalems beleuchtet wird.
Die Landespolitik benennt Jerusalem als Hauptstadt des israelischen Staates, sämtliche internationalen Vertretungen befinden sich jedoch in Tel Aviv, da die Weltgemeinschaft Jerusalem - aufgrund der illegalen Besatzung des Ostteils der Stadt - diesen Status nicht zuerkennt. Er streut fast beiläufig die komplexen Problematiken dieses Landes in seine Erzählung ein.
Auch der fortlaufende Mauerbau und die Praxen der Sicherheitskräfte an den Checkpoints werden von ihm in Szene gesetzt. Aber statt ein anklagendes Panorama, der durch die UN scharf kritisierten Zugangsbeschränkungen für Palästinenser zu entwerfen, lässt er seinen unglaublich einnehmenden Humor wirken.
Sein mit wenigen Strichen skizziertes, spitznasiges & stets aus dem Profil zu bewunderendes Alter Ego nimmt, gemeinsam mit einer Gruppe von älteren mensschenrechtsbewegten Damen, an einer Protestkundgebung gegen die Checkpointpolitik teil.
Delisle porträtiert diese Szene mit seiner ihm eigenen, fast spitzbübigen, Gewandheit und Eleganz. Er lässt hierbei seine Blicke schweifen, summiert einzelne Eindrücke dieses hochkomplexen Prismas aus Wut und Furcht, aus Abscheu gegenüber der Willkür der Soldaten und deren (durch die Politik erzwungenen) Arbeitsweise.
Delisle benennt keine Täter, keine Opfer - er schildert eine Alltagsszene und krönt diese konzise Beobachtung mit der Darstellung eines Sandwichverkäufers, der völlig unbeeindruckt, im einsetzenden Hagel aus Steinen und Tränengasgeschossen, seinem Tagewerk nachgeht. Beeindruckend.
Und diese willkürlich herausgegriffene Szene ist nur eine der zahllosen Miniaturen der Beobachtungen des israelischen Alltags, die diesen Comic zu einem Meisterwerk machen. Ich wage zu behaupten, dass auch ein einjähriger Aufenthalt, nicht gleichzusetzen ist mit einem Verstehen des Landes...
... eines Landes, in dem in Fusswegentfernung zwei komplett verschiedene Welten (ko)existieren. Im Ostteil der Stadt stapelt sich der Müll, hier befinden sich nur wenige, selten gut ausgestattete Geschäfte, während in einer israelischen Siedlung, die sich tatsächlich hinter einem Erdwall befindet, ein Überangebot vorzufinden ist. In einem Kaufhaus findet Delisle selbst seine kanadischen Lieblingsflocken. Diese dichte, leichtfüssige Pointe auf die schreiende Ungleichverteilung kann nur als gelungen bezeichnet werden.
Aber ein Aufenthalt in Israel, ist ohne Bezugnahme auf muslimische Kontexte (abseits einer Busreise) unmöglich. Und auch hier kann ich Delisle nur loben, weil er nicht in das oft bemühte Binärnarrativ verfällt und sich jeder Opferzuschreibung verweigert. Er zeichnet sich lieber selbst, wie er vergnügt pfeifend, sich an einem Apfel labend, durch die Strassen zieht. Im Ramadan. Pfeifend. Man muss ihn mögen.
"Aufzeichnungen aus Jerusalem" zeichnet ein sehr komplexes, niemals einseitiges oder anklagendes Bild des Aufenthalts. Delisle stellte zahlreiche Eindrücke und Skizzen seiner Zeit in Israel bereits während seines Stationmachens auf seinem Blog (hier) vor.
Er rekonstruiert die gesammelten Skizzen und Erzählungen im Anschluss und auch wenn der Großteil des Comics chronologisch angelegt ist, existieren einige wenige Raffungen und Vorgriffe, die den 334 Seiten starken Comic, der in der deutschen Übersetzung bei Reprodukt verlegt wird, zu einem faszinierend dicht komponierten Werk machen, welches ebenso oft nachdenklich stimmt, wie es zu einem begeisternden Kichern einlädt.