Wo sind
bitte die Blutsauger abgeblieben, die ich so liebe? Diese verwegenen
Gestalten des Zwielichts, die immer sprungbereit sind in das Nass einer
blutenden Kehle? Was sich heute alles Vampir schimpfen darf, ist ein
Sakrileg, ein Verstoss gegen die heiligste aller Schöpfungen - gegen die
Unterhaltung.
Milchzahnige,
handzahme Bausparvampire, glatt wie Flusskiesel. Diese blassen
Schrumpfformen ihrer selbst dominieren den Bücher- und Comicmarkt. Kein
Schaudern mehr, kein Funken dunkler Erotik. Nur noch wollweichgespülte
Designerromantik.
Es ist ein Elend, man möchte ihnen allen von Punkrock betört einen
Pflock tief ins gecastete Herz bohren - fürchtete man nicht zu sehr vor
der grausamen Rache der verdorbenen Kinderseelen, die diese
Jammergestalten vergöttern.
Es
scheint als sei ganz Gallien verloren - nein nicht ganz Gallien. Einige
wenige knochenharte Exemplare dieser liebeswerten, in Reisszahnreihen
grinsenden Scheusale begehren auf gegen die blutleere
Twillightaristokratie - und natürlich muss ich diese wenigen Philosophen
der Bluttat besingen ...
...
denn es ist an der Zeit für eine neue Götterdämmerung, die Gebeine der
Popvampire sollen die Altäre bilden, für die Fackelträger dieser uralten
Zunft von Meuchlern und Verführern.
Den Beginn des Gegengesangs bildet der vierte Teil der bekennend maliziösen Saga rund um Skinner Sweet, den ersten der American Vampire. Die bislang ausnahmslos grandiose Serie quillt über vor tiefschwarzem Dialogwitz und die Geraden von Scott Snyder sitzen noch immer präzise.
Wer glaubte, diese atemberaubende Serie würde nach dem gewagten und allzu durchsichtigen Marketingstunt zum Plotbeginn leiden, der hat sich tief ins Fleisch geschnitten. Diese kurze und nahezu unbedeutende Co-Autorenschaft von Stephen King ist eine en passant zu vernachlässigten Fussnote in der Comicgeschichte.
Scott Snyder & Rafael Albuquerque
haben einen modernen Klassiker aus den noch dampfenden Innereinen
dieses gefällig gewordenen Genres geformt. Blutig, bitterböse und
pointiert kommt der rohe Gegenspieler der europäischen Vampire daher.
Ein Halunke aus der Unterschicht, ein Parvenü mit erheblichem Überbiss.
Im vierten Teil assistiert Snyder jedoch nicht Albuquerque, sondern der brillante Sean Murphy, der bereits mit Joe, the Barbarian
eine markante & unverkennbar eigene Marke hinterlassen hatte.
Und obwohl ich die Zeichnung der ersten drei Bände wirklich sehr
verehre, gelingt Murphy das Kunststück dieser Serie nochmals einen
gänzlich neuen Drift zu verleihen.
Wer
die Serie kennt weiss, dass man die Plots niemals reduktiv
paraphrasieren kann. Ein Allzuviel an Anspielungen, Zierrat und
Nebennarrativen erschwert dies. Daher mache ich es hier recht kurz. Die
Vasallen des Morgensterns, diese geheimorganisierte Gilde von
Vampirschlächtern glaubt ein wirksames Heilmittel gegen den Vampirismus
gefunden zu haben und sieht sich nun in der Lage, die weltweite Epidenie
der Wiedergänger wirksam zu bekämpfen - wären da nicht die Nazis.
Richtig,
Nazis, diese Menschen in Schaftstiefel und mit Hass im Herzen. Der
Banner des Sonnenkreuzes weht über den neuen Sondereinheiten. Murphy
gelingt es die historischen Greueltaten an der Zivilbevölkerung hinter
der Ostfront glaubwürdig in das Narrativ der vampiresken Raserei
einzubetten - denn wo anders als im totalen Krieg ist es den Kreaturen
des Zwielichts gestattet ihren Blutdurst so ungehemmt zu stillen. Ja,
neben einem spannenden, actionreichen Plot bietet die Zusammenarbeit von
Snyder & Murphy sogar so etwas wie eine politische Allegorie an. Wer kann denn da widerstehen?
Eine etwas andere Tonalität und Textur weist der zweite Teil von Ayroles Vampirsage "D" rund um den Vampirdandy Lord Faureston auf. Ich hatte den ersten Teil sehr lobend besprochen (Link hier)
und war etwas zwiespältig, ob die Fortschreibung des kurzweiligen Plots
gelingen würde. Die Fallhöhe war immens, aber kurz: ja, die Sorge war
unbegründet.
Auch
der zweite Teil der perfiden Gesellschaftssatire strotzt vor
halsbrecherischen Wendungen und überraschenden Storytwists.
Oberflächlich ist "D" ein klassischer franko-belgischer
Fantasycomic mit ansehlichen Damen in hinreissenden Roben und tiefen
Dekolletees, aber der hintergründige Plot ist gut versteckt hinter
diesen vermeindlich vertrauten Äusseren.
Innerhalb
des Plots wird der Bruch alter Glaubenswelten und Hierarchien
durchbuchstabiert. Auch dies ist vielleicht als eine Allegorie auf den
heutigen handzahmen Vampircomic zu sehen. Je massiver und je kranker die
Ausfälle sogenannter Glaubenskrieger werden, um so affirmativer wird
der Vampir. Seine Rolle als Gegenmodell der fortschrittsgläubigen,
empiriegestählten Aufklärung ist ihm schon lange verloren gegangen.
In diesem Comic kulminiert dieser Bruch in einer der widersprüchlichsten Figur der letzten Jahre - Richard Drake.
Drake
ist ein weitgereister Gentleman der verblassenden Kolonialzeit. Ein
bürgerlicher Aufsteiger, der seine gesellschaftliche Position dem
Wagemut und den Aufenthalten in den Kolonien verdankt. In den
aristokratischen Kreisen bewegt er sich wie ein Fremdkörper, dem dieser
vornehme Stallgeruch nicht eigen ist und doch ist er der vitalste aller
Salonlöwen. Viril, imposant und eindrucksvoll. Und auch wenn er ein Mann
des Wissens und des Buches ist - so ist er auch vertraut mit den
Schattenreichen und den nächtlichen Grauen. Drake ist der Figur
gewordene Bruch zwischen Aufklärung und Dämonenglauben.
Mehr
möchte ich über diese kongenial beobachtete Sozialstudie, diesem
perfide inszenierten Sitten- und Gesellschaftsgemälde eigentlich
garnicht sagen. Dies ist ein Comic, der sich wünscht gelesen zu werden,
auch wenn er auf den ersten Blick sehr bekannt wirkt. Das
Stereotypensterben schreitet weiter voran.
Zu guter letzt möchte ich noch eine heilige Lanze für den Genreklassiker von Steven Niles & Ben Templesmith
brechen. Dieses heimstückige Biest von einem Comic wird gerade neu
aufgelegt und die Barrow-Trilogie ist der erste Band dieser
Sammelbandedition.
Manche
werden sich noch erinnern. Barrow, diese kleine Stadt am Rande der
Wildnis Alaskas, schneeumweht und im arktischen Winter in 30 lange Tage
voller Dunkelheit getaucht. Ein perfekter Jagdgrund für blutgieriges
Gesindel. Es war folgerichtig, dass der Film auf Zelluloid gebannt
wurde.
Die
Finesse der gnadenlos guten Schockerverfilmung bestand in dem
brillanten Stilmittel die Vampire in einer eigenen Sprache sprechen zu
lassen. Etwas was mit Untertitel und Zischsounds einfacher zu
bewerkstelligen ist als mit Text & Tusche. Aber die Idee wurde
im Comic geboren & wurde somit nur adaptiert.
Und genau hier liegt die stille Stärke des Comics. Natürlich sind Templesmiths
ruppigen, expressiven und verstörenden Zeichnungen mehr als nur ein
atmosphärisches Ventil, aber sie wären nichts ohne die drastische
Erbarmungslosigkeit eines Niles. Der Plot der Barrow-Trilogie gehört
vielleicht zu dem besten was die Horrorsparte des Vampircomics zu bieten
hat. Alte, sehr alte Geschöpfe der Vormoderne zeigen eindrucksvoll auf,
wie fragil und brüchig der Menschen Welt ist. Die Krone der Schöpfung
wird da auch mal zur Beute sehr viel perfiderer Bestien.
Natürlich
haben schon Aberdutzende Vampirstories den Menschen zum gejagten Tier
gemacht, aber selten war er so schutzlos wie in Barrow. Die Gegner sind
übermächtig. Organisiert, nachtaktiv, scharfsichtig &
pfeilschnell, wen wundert es, dass man sich da fix wie ein waidwundes
Gnu in einer eisdurchwirkten Serengeti fühlt, welches umringt von
zornigen Augenpaaren ist. Kurz gesagt Genreklassiker.